: Lohnt rechtschaffenes Arbeiten?
betr.: „Gerster nicht vermittelbar“ u. a., taz vom 26. 1. 04
Sicher kann man streiten, ob die verhaltensbedingte Kündigung wegen wiederholter und erwiesener diplomatischer Idiotie (man spricht hier vorsichtig vom „mangelnden Feingefühl“) an den Beraterverträgen hätte aufgezogen werden müssen, gerechtfertigt war sie allemal. So sehr Gerster an seiner privaten Dolchstoßlegende auch basteln mag, er ist mitnichten „im Felde unbesiegt“. Selbst ein naiver Blick auf den Reformprozess der ehemaligen Bundesanstalt zeigt das.
Da ist zum einen das großspurig angekündigte Internetportal www.arbeitsagentur.de, schlampig für viel Geld auf einer technischen Plattform realisiert, die unter Experten als veraltet gilt, von einer Beraterfirma betreut, die nicht ohne Grund vor Jahren den Namen wechseln musste. Es füllt eine Lücke, die nicht existierte, und zeigt vor allem, mit welchem Datenschrott die Computer in Nürnberg jahrelang vom Geld der Versicherten und Steuerzahler befüttert wurden.
Vor sich hin dümpeln auch die so genannten Personal-Service-Agenturen, Ausbund der originellen Idee, die Arbeitslosen auf den stagnierenden Zeitarbeitsmarkt zu werfen. Und die „Vermittlungsgutschein“-Kampagne? Auch diese ein Misserfolg wie das kläglich weit unter den Erwartungen gebliebene „Mainzer Modell“.
Die rhetorische Verwandlung von „Anstalt“ in „Agentur“, von „Arbeitslosen“ in „Kunden“ und von Tagelöhnertum in „Ich-AGs“ hatte bislang nur positive Arbeitsmarkteffekte für die Drucker von Geschäftspapieren. Getreu der Maxime Roland Bergers, dass ein fades Bier besser schmeckt, wenn man es Premiumpils tauft, wurden uns diese Worthülsen auch noch in einem Gestus präsentiert, als stünde für die Bundesoberbehörde der Börsengang in Kürze an. Nach Art seines Meisters Clement, der über den Boulevardjournalismus zur Boulevardpolitik gekommen ist, versuchte sich Gerster an einer Art Boulevardverwaltung, in der die Worte groß und die Fakten nicht so wichtig sind. (Die Statistik lässt sich ja auch so bereinigen.) Insofern ist die Affäre Gerster auch eine Affäre Clement, auch dieser im Übrigen mit dem Geruch des Nepotismus behaftet, auch dieser demnächst belehrt durch einen Untersuchungsausschuss im korrekten Umgang mit öffentlichen Geldern.
Wie wäre es denn, verführe man mit Gerster nach den Regeln seiner eignen Behörde? Zunächst hälftige Kürzung der Monatszahlung wegen Meldevergehen, dann drei Monate Sperrzeit, weil mutwillig herbeigeführte Kündigung. Erst dann Arbeitslosengeld, das Maximum liegt hier bei rund 1.200 Euro. Und jede Woche drei Termine für „zumutbare“ Tätigkeiten. Als Budenzauberer, als Hütchenspieler oder Pressesprecher für Parmalat. So dürften sich jedenfalls die Gewaltfantasien der vier Millionen Arbeitslosen, pardon: Kunden, auf einen moderaten Nenner bringen lassen.
Florian Gerster soll Schröders bester Mann gewesen sein. Ja, eben. Darin liegt jedoch nicht nur das Problem, nicht nur die Erklärung für manche Wunderlichkeiten der konkreten Politik, sondern auch die Lösung. Lasst uns einen wählen, der bessere Männer hat.
SASCHA PH. RAUSCHENBERG, Düsseldorf
Die Bundesanstalt für Arbeit verwaltet das Wirken von 26 Beratungsunternehmen im eigenen Hause – wen wundert’s, dass dabei die Arbeitslosen aus dem Blickfeld verschwinden. Wer an oberster Stelle für die Koordination einer solchen Berater-Armada verantwortlich zeichnet, der zeigt dadurch nicht zuletzt auch seinen Mitarbeitern, was er von ihren Fähigkeiten hält. Interessant am Fall des Herrn Gerster ist allerdings, dass die kostspielige Verlagerung der Verantwortung zu externen Beratern ihn selbst nicht retten konnte.
H.-J. SITTEK, Rheinberg
Ich hoffe, allen LeserInnen ist klar, dass Herr Gerster über 450.000 Euro Abfindung für einen selbst verursachten Abgang erhält. Er wird auf Kosten der SteuerzahlerInnen als entlassener Beamter des Weiteren bis zu seinem Lebensende ein ökonomisch sorgenfreies Leben führen. Ich frage mich fast täglich, ob rechtschaffenes Arbeiten wirklich lohnend ist. WOLFGANG SIEDLER, Langenhagen
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