Hartz rasiert Weiterbildung

Das Hartz-Konzept stellt die Architektur der Arbeitsförderung auf den Kopf: Bei Weiterbildungen fallen ganze Berufszweige raus. Auf dem Markt erwischt es selbstständige Institute. Eine Fallstudie

„Wir sind nicht für die Auslastung der Weiterbildungsinsti-tutionen zuständig“

von LENNART LABERENZ

In Berlin-Charlottenburg ist der Morgen so grau wie das Kostüm von Margit Strehle. Frau Strehle führt mit ihrem Kollegen Michael Galwelat die Geschäfte von Cimdata. Die Akademie für digitale Medien ist ein privater Träger für berufliche Weiterbildung, der versucht, Berliner Arbeitslose für den Markt fit zu machen. Cimdata ist der größte unter den fünf kleineren Trägern in Berlin und einer der Selbständigen des deutschen Weiterbildungsmarkts, auf dem vor allem zwei Marktführergruppen den Rahm abschöpfen: Institute der Gewerkschaften oder der Wirtschaft. Cimdata, die Vorreiterinstitution für so genannte modulare Weiterbildung, will in diesem Jahr sein zwanzigjähriges Jubiläum feiern.

Doch nach zwei Dezennien wendet sich die Lage ins Prekäre: Seit dem In-Kraft-Treten der beiden ersten Hartz-Gesetze „hat es hier jeden Tag geknallt“, stellt Margit Strehle fest. Zu den größeren Knallern dürfte eine siebenseitige Liste der Berliner Arbeitsämter gehören, die „Förderbare Bildungsziele 2003 der Berliner Arbeitsämter für die berufliche Weiterbildung“ versammelt. Für Floristik und Werkschutzfachmänner aber auch Logopäden und anderes medizinisches Fachpersonal werden die Ämter Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose bezahlen.

Der IT-Bereich dagegen ist dünn vertreten, der Sektor Multimedia fehlt ganz. „Kahlschlag“, ruft Stefan Sievers, zuständiger Referent vom Deutschen Multimedia Verband. Absurd, urteilen Strehle und Galwelat im Chor.

Die Liste stellt die bisherige arbeitsmarktpolitische Architektur auf den Kopf. Förderung sollen nur noch diejenigen Qualifizierungen erfahren, die 70 Prozent Vermittlungsquote schaffen. Zusätzlich fallen ganze Zweige weg – wegen ungünstiger Prognosen. So hat die Cimdata-Vermittlungsquote von 77 Prozent ins Baugewerbe im letzten Jahr keine Relevanz – die Förderung dieses Bereichs fällt komplett weg. Die Schwerpunktsetzungen quer durch die Republik mögen andere sein – die Kürzungen gelten überall gleich.

Starre 70 Prozent gelten seit dem 1. Januar als Richtschnur für die Qualifikation von Behinderten, MigrantInnen oder Ungelernten – Zielgruppen, in denen schon 50 Prozent Vermittlung ein Erfolg ist. „Der ganze soziale Auftrag fällt unter den Tisch“, sagt Ko-Chefin Margit Strehle. „Wir müssen uns auf die Teilnehmer mit den besten Vermittlungschancen konzentrieren.“

Der Weiterbildungsmarkt für Arbeitslose ist umkämpft. Trotzdem hängt ihm das Odium gesellschaftlicher Randständigkeit an. Über gute Presse können sich die Bildungsträger selten freuen. Bei der steifen Identifikation der Deutschen mit ihrer Arbeit ist das Geschäft der Reintegration ein Handel mit Stigmatisierten.

Seit Beginn der Ära Kohl, so attestieren etwa Mechthild Bayer und Roman Jaich im Studienheft „Bildungsfinanzierung“, herausgegeben vom „Bund demokratischer WissenschaftlerInnen“, setzte sich „ein ordnungspolitisches, staatlich unterstütztes Konzept durch, das Weiterbildung in den Kontext von Deregulierungsstrategien stellt – Individualisierung, Privatisierung, Kommerzialisierung und Marktkonkurrenz“. Tatsächlich stellt Hartz die Förderung von Maßnahmen durch die Arbeitsämter auf Marktsteuerung um. Mit der Liste förderbarer Bildungsziele verlagert sich das Risiko zunehmend auf Weiterbildungsträger – und am Ende auf die schwächsten der Betroffenen. Beschäftigungsschwankungen wirken sich nun unmittelbar auf Förderziele aus. Ein Moment, das angesichts der rot-grünen Vorgabe, die Bundesanstalt für Arbeit irgendwann ohne Bundeszuschüsse zu organisieren, seine Dynamik erst noch entfalten wird.

„Wir machen Arbeitsmarktpolitik, keine Sozialpolitik“, ist denn auch die bündige Antwort des Sprechers des Berliner Landesarbeitsamts, Klaus Pohl, auf die Frage nach dem sozialen Auftrag. Der Titel, aus dem auch Weiterbildung und AB-Maßnahmen finanziert werden, ist in diesem Jahr von einer Milliarde auf 942 Mio. Euro gesunken. Rund 19.000 Teilnehmer werden in diesem Jahr gefördert – 2.000 weniger als bisher. Obgleich die Arbeitslosigkeit sprunghaft steigt, lautet die Antwort der Planer: „Wir sind nicht für die Auslastung der Weiterbildungsinstitutionen zuständig.“ Pohl rechnet vor, dass tausende kommen, um in Berlins Neuen Medien einen Job zu suchen. Aber in der Vergangenheit seien „viele gefördert worden, die nun alle arbeitslos sind“.

Die Definitionshoheit über die Statistiken ist umstritten. Hier die Arbeitsämter, auf der anderen Seite die Träger von Weiterbildung – die nun reagieren. „Wir müssen die erste betriebswirtschaftliche Grundregel befolgen: Auf Umsatzeinbruch folgt Ausgabenreduktion.“ Cimdata wird etlichen seiner 55 Angestellten kündigen. Büro- und Seminarräume der Filiale sind bereits abgegeben oder werden es bald. Mehr als zwei Drittel der Qualifikationsmodule Cimdatas siedeln sich im Bereich der Sektoren Bauwesen oder Multimedia an. Die politische Rhetorik der Multimediastadt Berlin aber ist längst in den verlassenen Partyräumen der New Economy verhallt.

Die Arbeitsämter interessiert die Reduktion von Kosten. Dem Gerücht, dass mit dem Hartz’schen Umbau die Mittel für Weiterbildung um 75 Prozent beschnitten werden, tritt Sprecher Pohl energisch entgegen. Wenige Stunden später kündigt Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) freilich schon weitere Kürzungen bei der Arbeitslosenförderung an.

„Wir machen hier auch Persönlichkeitstraining“, sagt indes Frau Strehle. Mutlosigkeit nach wiederholten Absagen, das Abdriften vermeintlich Unbrauchbarer sind Begleiterscheinungen von Arbeitslosigkeit. Bei Cimdata heißen die etwa 30 Menschen, deren Tag an diesem Morgen um halb neun an den Rechnern begann, Studierende. Über direkte Kontakte zu Firmen werden sie zum Ende ihrer Weiterbildung an den Ämtern vorbeivermittelt. „Wir haben hier ganz andere Möglichkeiten, Firmen anzusprechen, und auch selbst ein eigenes Profil.“ Margit Strehle meint damit das Vertrauen von Firmen. Die Unternehmen kennen die Qualität der Ausbildung. „Wir haben hier Professoren der Hochschule der Künste an den neuen Medien und an Multimediaprogrammen ausgebildet“, sagt Galwelat und lächelt.

Diese Zeiten sind vorbei. Niemand weiß, ob auch Cimdata der Marktbereinigung im Weiterbildungssektor zum Opfer fallen wird, die eine direkte Folge der Hartz-Gesetze sind.