Börsen als erste „Kriegsgewinnler“

Nach der Bush-Rede Aufbruchstimmung an den Börsen weltweit. Während Aktienkurse steigen, sinkt der Ölpreis. EU kündigt an, Defizitkriterien bei Krieg aufzuweichen. Sie befürchtet Stagnation der Volkswirtschaften. Rezession nicht ausgeschlossen

von KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Der Krieg ist offenbar noch immer der Vater vieler Dinge. Der Börsenkurse weltweit etwa. Und auch der Aufweichung der Kriterien von Maastricht. Die konkrete Ankündigung des Krieges der USA und ihrer –wenigen – Alliierten gegen den Irak durch den US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush in der Nacht zum Dienstag jedenfalls stimulierte schon einmal direkt die Börsen in Fernost. Selbst der seit Monaten dahinsiechende japanische Nikkei-Index schoss unmittelbar nach der Rede von Bush um zwei Prozentpunkte in die Höhe. An der Börse in Hongkong kletterte der Hang Seng Index innerhalb von Minuten gar um 2,7 Prozent auf 9.041,51 Zähler.

Gestern Morgen zog dann die Deutsche Börse nach. In Frankfurt legte der DAX um satte vier Prozent oder 100 Punkte zu und übersprang gegen Mittag sogar die von den Börsianern schon seit Tagen aus den Augen verlorene Marke von 2.500 Zählern. Und selbst am Neuen Markt wurden wieder „Lebenszeichen“ registriert. Der Nemax 50 stieg um 3,1 Prozent auf 359 Punkte. Wie in Tokio oder Hongkong waren die Börsianer auch in Frankfurt „irgendwie erleichtert, dass die Sache jetzt entschieden ist“, so der Broker einer Privatbank. „Echtes Kaufinteresse“ könne sich jetzt „breit machen“, konstatierte ein Händler der Commerzbank, denn „der Krieg dort unten“ werde wohl schnell zu Ende sein. Schon war auf dem Parkett von „Aufbruchstimmung“ die Rede. Und tatsächlich verhinderte wohl auch der kräftig sinkende Ölpreis, dass der DAX – wie ansonsten üblich – schon am Nachmittag wieder einbrach. Tatsächlich hatte der DAX seit Jahresbeginn in kontinuierlicher Talfahrt 1.000 Punkte verloren. Es gab aber auch warnende Stimmen. Wer nach dem kurzen Krieg eine neue schöne Handelswelt erwarte, werde vielleicht bitter enttäuscht, sagte ein Broker der Deutschen Bank. Die Auswirkungen der monatelangen Baisse auf die gesamte Volkswirtschaft seien nämlich noch immer nicht abzusehen.

In Tokio jedenfalls dauerte die makabere Euphorie tatsächlich nur ein paar Stunden. Dann verabschiedete sich der Nikkei von seinem Tageshoch (plus 2 Prozent) und schloss mit einem Zuwachs von nur noch 1,05 Prozent auf 7.954,46 Punkte ab. Viele realisierten eine schnelle Gewinnmitnahme. Es mangele eben grundsätzlich an Vertrauen in die japanische Wirtschaft, hieß es dazu in einer Erklärung der Tokioter Börse. Auch dass sich der japanische Premierminister Junichiro Koizumi nur wenige Stunden nach der Quasi-Kriegserklärung der USA an den Irak auf die Seite von Bush stellte, habe die Stimmung zusätzlich getrübt, sagte ein Portfolio-Manager. Denn eigentlich hätten alle gedacht, dass sich Japan da heraushalte und so seine Handlungsfreiheit behalte.

Kriegsgewinnler könnte – ungewollt – auch die Bundesregierung werden. Denn sollte das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) kriegsbedingt um weniger als 1 Prozent wachsen, dürfe das Defizit der öffentlichen Haushalte ausnahmsweise die von der Europäischen Union (EU) gesetzte Dreiprozentmarke des BIP übersteigen, hieß es in Brüssel. Es werde dann kein Verfahren eingeleitet. Der Generaldirektor der EU für Wirtschaft und Finanzen, Klaus Reging, schließt bei einem Krieg im Irak auch eine „Stagnation oder sogar Rezession“ der Volkswirtschaften nicht nur in Deutschland nicht aus.