Erste Niederlage für die USA seit dem Mauerfall

In Frankreich ist man der Ansicht, dass es der Bush-Regierung kein zweites Mal gelingen wird, den Sicherheitsrat zu umgehen

PARIS taz ■ Es wird ein Bush-Krieg. So stellt sich die internationale Lage nach dem Ultimatum des US-Präsidenten aus französischer Sicht dar. Ein Krieg der USA – gegen den Irak und gegen die Mehrheit der Mitglieder von UNO und Sicherheitsrat. „Der Irak“, so wiederholte Jacques Chirac gestern Mittag in Paris, „stellt keine unmittelbare Bedrohung dar, die einen Krieg zum jetzigen Zeitpunkt rechtfertigt.“ Zum selben Zeitpunkt versuchten Diplomaten auf der anderen Seite des Atlantiks, Frankreich die Verantwortung für den unmittelbar bevorstehenden US-Krieg zuzuschieben.

Paris hat sich bis zuletzt nicht von den diplomatischen und wirtschaftlichen Drohungen der USA einschüchtern lassen. Im Gegenteil: Während in London immer tiefere Risse durch die Regierung von Tony Blair gehen, genießt Chirac in Paris eine breite Unterstützung in sämtlichen politischen Lagern. Nach einer gestern veröffentlichten Umfrage unterstützen die Franzosen seine Politik gegen „einseitige präventive Militärschläge“ und für eine „Entwaffung des Irak durch UN-Inspektionen“ zu 86 Prozent.

Die oppositionellen Sozialisten sprechen von einem „illegalen Krieg“, der einen radikalen Doktrinwechsel der US-Außenpolitik darstelle, die „ganze Region destabilisieren“ und die „internationale Antiterrorkoalition zum Zerbrechen bringen“ werde. Der Chef der Parlamentsfraktion der PS, Jean-Marc Ayrault, spricht von einer „heiligen Union für den Frieden“ und fordert den Staatspräsidenten auf, noch ein bisschen weiter zu gehen. Nach seinem Willen soll Chirac das Überflugrecht für US-amerikanische Kriegsflugzeuge über französisches Territorium verweigern.

Einen Epochenwandel in der US-Außenpolitik stellen auch die französischen Kommunisten fest. Ihre Zeitung Humanité sprach gestern von einem „Krieg gegen die Welt“ und sortierte die USA fortan in das Lager der „Schurkenstaaten“ ein. Militärisch, so die Zeitung, könnten die USA den Krieg gewinnen, „doch politisch und moralisch haben sie ihn bereits verloren“. Der bevorstehende US-Krieg sei „die erste Niederlage der ersten Weltmacht seit dem Fall der Mauer“.

Die Antikriegsgruppen in Frankreich riefen gestern zu Protestdemonstrationen für den Tag des Kriegsbeginns auf: vor der US-Botschaft an der Place de la Concorde in Paris und an symbolischen Plätzen in zahlreichen Provinzstädten. Auch jene Optimisten in der Antikriegsbewegung, die bis zuletzt gehofft hatten, ein Krieg könne noch verhindert werden, hielten ihn gestern für „quasi unvermeidbar“. Viele Kriegsgegner in Frankreich analysieren, dass die Falken in Washington sich sowohl von der UNO als auch von der Nato „befreien“ wollen, und dass sie darauf abzielen, die EU zu einer reinen Freihandelszone ohne jede politische Macht zu degradieren. Zugleich gehen sie davon aus, der Bush-Krieg gegen den Irak sei das „erste und letzte Mal“, dass den USA ein derartiger Durchmarsch gelinge.

Die französische Regierung, die davon ausgeht, dass ein Krieg gegen den Irak die Gefahr terroristischer Anschläge weltweit vergrößern wird, hat bereits vor Wochen die Sicherheitsmaßnahmen vor öffentlichen und religiösen Gebäuden und Schulen sowie an Bahnhöfen, Flughäfen und Grenzen verstärkt. Eine Verschlechterung der Handelsbeziehungen zu den USA befürchtet man dagegen nicht. Dazu seien, so Regierungsmitglieder, die „Handelsverträge zu stabil“. Ein etwaiger Boykott französischer Produkte in den USA, so Spitzenpolitiker, werde „allenfalls eine vorübergehende“ und „beschränkte“ Wirkung haben. Die franco-amerikanische „Freundschaft“, so Chirac am Wochenende in einem TV-Interview in den USA, werde Bestand haben. DOROTHEA HAHN