Skepsis, Unbehagen und Angst

„Ich bin betrübt, dass der Präsident in der Diplomatie so erbärmlich gescheitert ist, dass wir nun zum Krieg gezwungen sind“ (Tom Daschle, Demokrat)

aus Washington MICHAEL STRECK

Im „Biddy Mulligans“ ist um zwanzig vor acht die Hölle los. Bier wird im Sekundentakt über den Tresen gereicht. Entweder man schmückt sich mit einem grünen Hut und grünen Hosenträgern oder mit Schals oder Stickern – Hauptsache grün, schließlich ist St. Patricks Day. Die Menschen in der irischen Kneipe im Stadtzentrum von Washington scheinen sich an diesem Montagabend vom nahenden Krieg gegen Irak nicht beeindrucken zu lassen.

Aus den Lautsprechern schallt U 2, von irgendwoher ruft jemand „Tony fucking Blair“ durch den Saal. Melissa hat keine Ahnung, dass Bush heute Abend eine Rede halten wird. Schließlich hat sie den ganzen Tag im Büro verbracht. „Hoffe, du bist kein Franzose“, sagt sie. Die seien nämlich nicht kooperativ gewesen, nach all dem, was Amerika in der Vergangenheit für sie getan hätte. Ein paar Meter weiter bestellt ein Mann ein Glas Heineken, woraufhin eine Stimme aus dem Nichts kommentiert: „Wer trinkt schon deutsches Bier.“

Es wird gesungen, wie man das von den Iren und ihren Symphatisanten kennt. Niemand blickt auf das laufende CNN-Programm. Doch plötzlich, als George W. Bush auf dem Bildschirm erscheint, erstirbt die Musik und auch das Gerede. Alle Köpfe drehen sich wie auf Befehl in Richtung der vier Fernseher. Die Ansprache des US-Präsidenten wird von Emotionsausbrüchen begleitet. „Lügner“, tönt es aus einer Ecke. Mittelfinger werden in die Höhe gestreckt. Brag Fisher, der bereut, bei der letzten Wahl für Bush gestimmt zu haben, sieht mit dem Kriegsbeginn bereits den Anfang vom Ende der Supermacht USA gekommen. Selbst wenn eine gewaltsame Entwaffnung des Irak gerechtfertigt sei, halte er den Zeitpunkt für unklug. „Warum können wir nicht noch 30 Tage warten? Die ganze Welt ist gegen uns.“

Das „Biddy Mulligans“ ist kein Treffpunkt liberaler oder gar linker Widerständler. Dennoch muss man Kriegsbefürworter an diesem Abend mit der Lupe suchen. Und selbst wenn sich welche finden, plagt sie Unbehagen. Steve Levin freut sich, dass Saddam Hussein endlich gestürzt wird. „Die Irakis sehnen sich nach Freiheit“, will er wissen. Andererseits sorgt sich der Unternehmensberater um die vielen Zivilisten, vor allem Kinder, die bei einer US-Invasion ums Leben kommen werden. Für Kristin ist die Sache klar. Bush habe gar nicht mehr anders gekonnt, wollte er die nächste Wahl nicht schon jetzt verlieren. Die Rechtsanwältin glaubt, dass der Krieg nur aus innenpolitischen Gründen vom Zaun gebrochen werde, da Bushs Glaubwürdigkeit auf dem Spiel stehe. „Hoffentlich geht der Krieg jetzt schnell und so unblutig wie möglich vorbei“, sagt sie einen Satz, den man an diesem Abend oft hört.

Von der Straße dringt der lautstarke Streit zweier Frauen durch die Tür. Eine hat Tränen in den Augen, die andere gestikuliert aufgeregt. Eine Freundschaft scheint am Scheideweg. Die eine verteidigt Bushs Kriegswillen, die andere erahnt die Tragweite des nahen Krieges und beschwört ihre Freundin geradezu: „Nenn mir einen plausiblen Grund, warum es diesen Krieg geben muss? Du kannst mir keinen nennen!“ Irgendwann schleudert sie ihr „Dies ist nicht mehr mein Land“ ins Gesicht, dreht sich um und lässt die Freundin stehen.

Dianne Warren bahnt sich einen Weg aus der dichten Menge zurück zum Hotel. Die Frau aus Ohio ist geschäftlich im frühlingshaften Washington und froh, am nächsten Tag die US-Hauptstadt verlassen zu können – nicht nur um bei ihrer Familie zu sein, wenn es losgeht. „Ich habe Angst vor neuen Terroranschlägen“, sagt sie. Dennoch sei die Kriegsankündigung auch befreiend. Die quälende Unsicherheit habe das Land, vor allem die Wirtschaft, gelähmt. Nach neuen Umfragen ist das Vertrauen der US-Bevölkerung in die eigene Wirtschaft so tief gesunken wie seit sieben Jahren nicht mehr.

Einige Kilometer weiter auf dem Kapitolshügel treten die oppositionellen Demokraten vor die Kameras. Obwohl die meisten von ihnen den Kriegskurs des Präsidenten unterstützten und auch im Parlament die Anwendung militärischer Gewalt absegneten, haben sie auf einmal nur Kritik übrig. Senatsführer Tom Daschle sieht in der Rede Bushs nicht den Triumph mutiger Staatskunst oder den Aufbruch zu einer neuen Weltordnung. „Ich bin betrübt, dass der Präsident in der Diplomatie so erbärmlich gescheitert ist, dass wir nun zum Krieg gezwungen sind“, sagt er. Selbst Senator Joe Lieberman, Präsidentschaftsbewerber und Oberfalke der Demokraten, wirft der Bush-Regierung vor, sie habe in ihrer Diplomatie die Spaltung der Staatengemeinschaft betrieben.

Weniger gespalten sind die Medien in den USA. Zwar gratuliert die Washington Post Bush zu seiner Kriegsentscheidung. In vielen Zeitungen überwiegen jedoch Skepsis und Unbehagen. Die New York Times titelt: „Krieg in den Ruinen der Diplomatie“. Alliierte seien entwertet und militärische Macht überbewertet worden. Die Los Angeles Times schreibt: „Wir fürchten, die Welt wird durch diesen Krieg nicht sicherer, sondern gefährlicher.“ Selbst das konservative Massenblatt US Today wirft Bush vor, überstürzt in den Krieg zu ziehen. „Wichtige Fragen bleiben unbeantwortet. Dies ist nicht die Art, in der Öffentlichkeit um Unterstützung zu werben.“ Ungetrübte Freude herrscht einzig an der Wall Street. Die Börse reagierte auf das Ende des langen Wartens auf den Krieg mit einem Kursfeuerwerk, wie sie es seit Oktober nicht mehr erlebt hatte.