Ins Visier genommen

Vielschichtiger Kommentar nicht nur zur aktuellen Logik des Militärischen: Heike Hamanns Schaukasten in der Ost-West-Straße

Mehr Besucher hat kein Museum: 50.000 Fahrzeuge passieren täglich den zehn Meter langen Schaukasten vor der Ost-West-Straße 57 – ein städtebaulich verunglückter Ort, eine Betonschneise durch die Stadt, die mehr trennt als verbindet. Ein passender Ort für ein Kunstprojekt. Schon im Jahr 2002 war hier die Reihe „tempolimit“ zu sehen.

„ZeitBewegungen“ heißt jetzt die neue, sechsteilige Ausstellungsreihe, die von Julia Eltner kuratiert worden ist. Jede Arbeit wird eigens für den Schaukasten am Straßenrand entwickelt und ist dort vier Wochen lang zu sehen. Am Anfang steht eine Arbeit der Berliner Künstlerin Heike Hamann.

Wie auch in ihrer Malerei macht die gebürtige Hamburgerin Zeichen und Symbole zu ihrem Hauptthema. Zwei der stärksten Zeichen dieser Zeit sind die Zielscheibe und das Fadenkreuz – nicht zuletzt militärische Symbole also, die bereits in der Pop-Art von Jasper Johns eine künstlerische Zweitverwertung erfahren haben.

Hamann hat die Rückwand des langen Schaukastens mit einem Spiegel ausgekleidet und auf das Schaufensterglas eine Zielscheibe und ein Fadenkreuz gemalt. Im Hintergrund wiederholen sich die Zeichen auf dem Spiegel, allerdings nochmals gespiegelt. So stehen dem Passanten zwei Zeichensysteme zur Verfügung: Zum einen kann er sich oder andere ins Visier nehmen – andererseits wird er möglicherweise selbst zum Opfer des tötenden Blicks.

Wenn Zielobjekt und Fadenkreuz im Auge des Betrachters deckungsgleich sind, dann wird nach der Logik des Tötens der Abzug gedrückt. Der Einschlag des Projektils steht kurz bevor. Heike Hamanns Arbeit ist vielschichtig, denn sie liefert nicht nur einen aktuellen Kommentar auf militärische Strategien des finalen Tötens – sie ist auch ein Beitrag zum Diskurs über unseren Blick auf die Kunst, über den schnellen, sezierenden, sauberen Blick auf die Dinge.

Dieser Schaukasten ist potentiell ein brisanter Ort der Kunst: Ampeln zwingen die Verkehrsteilnehmer – hier vor allem Autofahrer – stehen zu bleiben. So kommen sie zwar in den Kunstgenuss, doch laufen auch Gefahr, genau in diesem Moment ins Visier zu geraten. Und in Zeiten ausufernder Videoüberwachung bekommt man beim Betrachten der Arbeit durchaus Magendrücken. Denn auch danach fragt Hamanns urbane Installation: Wer hat uns jetzt – genau in diesem Moment – im Visier?

MARC PESCHKE

bis 13. April, Ost-West-Straße 57