Sorge um Verwandte in Hanoi

Das gefährliche Atemnotsyndrom SARS versetzt die vietnamesische Community in Unruhe. Fast ein Viertel der 9.000 Vietnamesen kommt aus Hanoi, einem der Zentren der Epidemie, und besucht dort regelmäßig Verwandte und Bekannte

von MARINA MAI

Die Wilhelminenhofstraße in Oberschöneweide ist belebt wie immer. Jeder zweite bis dritte Ladeninhaber hier ist Vietnamese. Die Männer und Frauen aus Südostasien verkaufen Obst und Gemüse, billige Geschenkartikel und Textilien, Blumen oder sie betreiben einen Asia-Imbiss.

Wegen der hochansteckenden Lungenentzündung SARS schaut Dat, einer der Händler, derzeit vor allem das vietnamesische Staatsfernsehen, das man auch in Berlin via Satellit empfangen kann. Gerade hat der Sender wieder zur Vorsicht gewarnt. Der Grund: Allein in Hanoi sind bereits 48 Menschen an SARS erkrankt, 5 von ihnen sind verstorben. Fast jeder vierte der 9.000 Berliner Vietnamesen stammt aus Hanoi und hat dort auch Verwandte und Bekannte.

„Angst vor der Krankheit habe ich nicht,“ sagt Dat, berichtet dann aber von seiner Schwester. Die hat vor kurzem nach Hanoi geheiratet. Nun macht er sich Sorgen, dass auch sie sich infiziert haben könnte.

Doch das ist nicht die einzige Furcht, die die Berliner Vietnamesen gerade wegen SARS haben. Zwar wurde das Virus in Hongkong inzwischen identifiziert. Doch eine Erfolg versprechende Therapie gegen die hochansteckende Krankheit gibt es noch immer nicht. Entsprechend groß ist die Sorge, dass SARS auch von Hanoi nach Berlin kommt. Schließlich waren viele Berliner Vietnamesen zum Tet-Fest Anfang Februar zum Urlaub bei ihren Verwandten. Die allermeisten sind inzwischen zwar zurückgekehrt. Aber einige Nachzügler kommen in den nächsten Tagen noch nach Berlin und könnten die Krankheit mitbringen, falls sie infiziert sind. Dazu kommt noch das Problem, dass viele Vietnamesen in Berlin nicht krankenversichert sind.

Dat dagegen glaubt nicht, dass er sich in Berlin anstecken könnte. Er füchtet vielmehr Panikmache und das mögliche Ausbleiben deutscher Kunden. „Bisher hatte ich Umsätze wie immer, aber einige meiner Landsleute klagen bereits über Einbußen.“ Um sich über das Verhalten der Kunden zu informieren, hat Dat gestern ausnahmsweise einen deutschen Fernsehsender geschaut: das ZDF. „Dort wurde zum Glück nur über die Seuche in China und Hongkong berichtet, nicht in Vietnam.“

Sorge äußert auch der vietnamesische Inhaber eines China-Imbisses am Adenauerplatz. „Bisher sind die Kunden gekommen wie immer, aber das könnte sich ändern.“ Eine deutsche Steuerberaterin, die viele vietnamesische Kunden hat, erklärt: „Meine Mutter fragt jetzt, ob ich keine Angst habe, die Vietnamesen in mein Büro zu lassen.“

Die Gesundheitsverwaltung hat die besondere Situation der vietnamesischen Gemeinde erkannt und will nun ein vietnamesischsprachiges Informationsblatt verteilen lassen. Sprecherin Roswitha Steinbrenner versucht in de Zwischenzeit allerdings, zu beruhigen: „An den Flughäfen erhalten Einreisende aller Nationalitäten ein Infoblatt des Robert-Koch-Instituts.“ Steinbrenner weiter: „Außerdem ist die Krankheit voraussichtlich nicht so infektiös wie anfangs angenommen. Nur wer die Symptome hat, kann sie weitergeben.