30 Stunden Bagdad … und zurück

Sechs Berliner wollten in Bagdad als menschliche Schutzschilde den Krieg verhindern. Doch ihre Hilfe war nicht willkommen. Maik erzählt von einer Reise voller guter Vorsätze, verfolgt von Pech und Enttäuschungen

von LUCIA JAY

Maiks Blick ist ernst, fast ein wenig abwesend. Immer wieder schweifen seine Augen in die Ferne. Jedes Lächeln scheint ihn Überwindung zu kosten. Der Fotograf bekommt auch keines geschenkt. Nur als Maik aus der schwarzen Plastiktüte seine Mitbringsel aus Bagdad auspackt, kann er sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Ein Fußballtrikot (Maik hat lange im Verein gespielt), einen Geldschein, Briefmarken und eine Auswahl von Postkarten legt er vor sich auf den Tisch. „Fast, als wäre ich als Tourist da gewesen und präsentierte hier nun meine Souvenirs.“

Seit Montag ist Maik Neudorf, Student der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität, wieder in Berlin. Von den sechs Berlinern, die als menschliche Schutzschilde unter dem Motto „Last minute to Bagdad“ in den Irak aufgebrochen waren, kehrten drei wieder um, zwei wollen weiter in Bagdad bleiben, um in einem Krankenhaus zu helfen, und einer befindet sich zurzeit in Amman, der Hauptstadt von Jordanien.

„Ich habe die Aktion viel zu naiv betrachtet“

Die Initiative, menschliche Schutzschilde in humanitären Einrichtungen in Bagdad einzusetzen, ist gescheitert. „Ich habe die Aktion viel zu naiv betrachtet.“ Maik wurde erst in Amman bewusst, dass die Idee der human shields nicht umzusetzen sein würde.

Am Mittwoch, 12. März, brach die bunt gemischte Berliner Gruppe von Tegel nach Amman auf. Ihre feste Überzeugung bei dem risikoreichen Einsatz war: Wenn viele Europäer und Amerikaner in Bagdad Position beziehen, wird das US-Präsident Bush von einem Angriff auf den Irak abhalten. Von Amman sollte es auf dem Landweg nach Bagdad weitergehen. Doch vorher erwartete sie eine böse Überraschung: Ein Organisator der „human shields organisation“ erklärte der Delegation, dass die irakische Regierung ihren Aufenthalt und ihre Aktion dulde beziehungsweise befürworte und ihnen auch kostenfrei eine Unterkunft in einem Hotel in Bagdad zur Verfügung stelle. Im Gegenzug fordere sie aber Mitbestimmung, was die Orte angehe, an denen sich die menschlichen Schutzschilde aufstellen dürften oder besser: sollten. Es gebe acht Einrichtungen, unter die auch Ölraffinerien und Telekommunikationsanlagen fielen. Wer nicht mitspiele, würde des Landes verwiesen. Die Hälfte aller Delegationen seien inzwischen schon wieder abgereist, die Verhandlungen mit der Regierung seien gescheitert.

Das war ein derber Schlag für die engagierten Helfer aus Berlin. „Wir entschieden uns, nicht auf das ‚Angebot‘ der irakischen Regierung einzugehen, sondern internationalen Friedensorganisationen in Bagdad unsere Mitarbeit und Hilfe anzubieten.“

In Bagdad angekommen, nahm die Gruppe am Freitag den Kontakt zu den beiden US-Friedensorganisationen „Voices of the wilderness“ und „Peace Team Iraq“ auf und erlebte eine zweite Enttäuschung. Ihre Hilfe wurde abgelehnt. „We can not adopt you“, hieß es und: Man wolle mit human shields nichts zu tun haben. Wenn die irakische Regierung das mitbekäme, wäre die „freie“ Arbeit der Organisationen Bagdad gefährdet.

Am Samstag suchten Maik und die anderen Berliner Menschenschilde die deutsche Botschaft auf, wo die Vorbereitungen für die Abreise schon im vollen Gange waren. Ihnen wurde geraten, auch so schnell wie möglich die Rückreise anzutreten. Taxis von Bagdad nach Amman kosteten in dem Moment noch 120 Dollar, doch die Preise stiegen fast stündlich. Das Taxi am nächsten Tag sollte 230 Dollar kosten, am Sonntag schon sei ein Preis für eine Fahrt aus Bagdad raus von 800 Dollar realistisch, sagten die in der Botschaft. „So viel Geld hatte ich nicht, also beschloss ich, Bagdad Samstagmittag zu verlassen“, erklärt Maik.

„Aber die Reise war nicht umsonst“

Aber noch blieb ihm ein Tag, um sich in Bagdad umzusehen, mit den Menschen zu reden und die mitgebrachten Medikamente in einem Krankenhaus abzugeben. „Die Stimmung in der Stadt war erschreckend normal und friedlich. Die Menschen bummelten auf den Bazaren wie sonst.“ Von Panik war nichts zu spüren. Alle Iraker, die Maik gesprochen hatte, waren von einem US-Angriff überzeugt. „Am 17. geht los“, über das Datum schienen sich alle einig zu sein. Die Iraker begegneten den Berlinern freundlich. Es gab ergreifende Momente, wie zum Beispiel den Besuch der Säuglingsstation in einem Krankenhaus. „Wenn man die 20 Neugeborenen sieht und im Hinterkopf das Szenario einer Bombardierung hat, schnürt es einem den Hals zu.“

Die beiden von der Berliner Initiative, die noch im Irak geblieben sind, haben der Klinik Hilfe versprochen, wenn die Angriffe beginnen. Sie wohnen auf eigene Kosten und sind bisher von der Regierung des Landes ungeschoren geblieben.

Wieder in Amman wurde Maiks Hilfe zum dritten Mal abgelehnt. „Ich wollte in den Flüchtlingslagern im Grenzgebiet mithelfen. Ich habe Erste-Hilfe-Kenntnisse und einen Führerschein.“ Doch auch hier war sein Einsatz nicht erwünscht. „Wir nehmen nur Mitarbeiter von anerkannten NGOs“, lautete die knappe Auskunft

Also buchte Maik zusammen mit Paddy für Sonntagabend den Rückflug nach Berlin. „Ein wenig enttäuschend ist die Reise schon ausgegangen“, sagt er nachdenklich. „Aber“, und seine Stimme nimmt wieder den bestimmten Ton von vorher an, „es war nicht umsonst.“ Nicht nur die vielen Eindrücke hätten sich gelohnt, schließlich konnten sie dem Krankenhaus auch Medikamente und Geld geben.

Für Maik war es immer klar, dass er den Irak vor Kriegsbeginn verlassen würde. Es war ein Versprechen, das er seiner Mutter gegeben hatte. Sie war dagegen, dass er nach Bagdad fliegt. „Sie konnte nicht zustimmen. Sonst hätte sie mir die Legitimation gegeben, wenn mir was zugestoßen wäre.“ Auch einige Freunde hatten Maik gebeten, nicht zu lange mit der Rückreise zu warten. Eine Bekannte von Maik studiert Psychologie. Sie gab ihm den Rat, jeden Morgen über die Seite im Tagebuch den Satz zu schreiben: „Ich werde das Land verlassen, sobald der Krieg beginnt.“

Maik selbst war zwar nicht so sehr um sein Leben besorgt, er hatte aber nicht erwartet, nach so kurzer Zeit wieder in Berlin zu sein. „Ich habe vor dem Abflug vorsichtshalber ein Urlaubssemester beantragt und in der Wohnung alle Stecker gezogen und den Kühlschrank leer geräumt.“ Aber auch hier wartet viel Arbeit auf ihn: „Wir müssen Friedensdemos und Blockaden für den Tag X organisieren und außerdem habe ich im April meine Vordiplomsprüfungen.“