„Jetzt“ mal ernsthaft

Enkel trifft Opa – ein leidlich hipper Clubgänger schreibt über einen reichlich alten Krieg

Da interessiert sich einer für den Krieg. Nicht den im Irak, nicht den in Vietnam, sondern den alten, liegen gebliebenen. Jenen Weltkrieg II, über den man glaubt, schon so viel gelesen zu haben, dass er längst eingelagert ist in der gedanklichen Altpapiersammlung. Christoph Amend kommt aus einer Gegenwelt: Keine 30 ist er, hessischer Provinzflüchter, leidlich hipper Clubgänger in Berlin-Mitte, guter Job bei einer Zeitung. Und er hat Mut: Er wischt das Altpapier beiseite und wagt einen eigenen Zugang zum Krieg.

Die äußere Form seiner Suche ist simpel: Enkel trifft Opa. Für sein Buch besucht der frühere „Jetzt“-Autor Kriegsteilnehmer, die einst jung und unbedeutend waren und heute alt und prominent sind: von Derrick-Erfinder Herbert Reinecker über Egon Bahr bis Horst-Eberhard Richter. Die Provokation liegt in Amends Blickwinkel: Was fängt dieser Krieg mit uns Heutigen an, den 30-Jährigen insbesondere – macht er uns überhaupt noch etwas aus?

Für seinen Ansatz riskiert er Prügel. Vom Pop-Roman hat er die Selbstbefragung unter der Dusche entlehnt, vom Dokudrama die Präzision in seinen Interviews. Doch weil sein Buch keinem Genre ganz zuzuordnen ist, werden Puristen es verdammen. Das wäre schade, denn neu sind weniger die Fragen als der Fragesteller: Das Verhältnis der Enkel zu den Opas ist unbefangener als das der Söhne zu den Vätern. Weil die 68er nicht anders konnten, als nach Schuld und Verstrickung zu fragen, sind die 30-Jährigen von heute freier. Ihr Ton ist anders. Sie können neugieriger fragen, naiver vielleicht, aber auch offener für die Widersprüche der Wirklichkeit: Was hat der Krieg mit denen gemacht, die damals so alt waren wie sie selber heute? Was ist aus ihrer Härte gegen sich selbst geworden? Hinter der Hoffnung auf die Einsichten der Alten steht eine Sehnsucht nach Tiefe, die so stark wie ungerichtet ist: Wenn wir Jungen schon nicht wissen, wo’s langgeht im Leben, helft ihr uns weiter. Doch je länger Amend sucht, umso größer wird die Kluft zu den Großvätern.

Wie schon die Söhne muss auch der Enkel feststellen, dass an den Kern ihrer Erfahrung kein Herankommen ist. Sie lassen sich willig befragen, doch an entscheidenden Punkten ist Sprachlosigkeit. Da ist Bahr, der bekennt, in all seinen Jahren mit Willy Brandt nicht einmal darüber geredet zu haben, dass sie im Krieg auf entgegengesetzten Seiten standen. Und der Therapeut Richter, knapp 80 Jahre alt, bricht im Gespräch in Tränen aus, trotz aller politischen und therapeutischen Aufarbeitung. So wird Amends Buch auch zu einem Projekt über die Grenzen der Empathie: Wie viel Krieg kann man verstehen, ehe das Verständnis versagt?

Die 30-Jährigen kommen nicht darum herum, eigene Antworten zu finden. Zu Anfang imponiert dem Partygänger Amend am Krieg der Alten die existenzielle Erfahrung, der seine Generation vergebens hinterherläuft. Da wird in ein paar missglückt pathetischen Sätzen der Rausch der Wehrmachtssiege mit dem der New Economy gleichgesetzt – auf die Euphorie folge hier wie dort die Trostlosigkeit. Doch die Parallelen enden rasch. Die Handy-Generation trifft auf die großen Schweiger. „Ich laufe mit dem schnurlosen Telefon durch die Wohnung und kann es nicht fassen. Sie haben nicht miteinander geredet. Keiner mit keinem.“

Amend fängt die Fremdheit zu den Großvätern gekonnt als surreale Oberflächenstörung ein. Nicht was die Alten erzählen, ist neu, sondern wie der Enkel es wahrnimmt: Da verirrt sich etwa der Linksintellektuelle Iring Fetcher in die begeisterte Beschreibung seiner Erfolge als Artillerie-Offizier: „Lang, kurz – Treffer! Ein Erfolgserlebnis!“

Ihre größte Verdichtung erfahren diese Wahrnehmungssplitter in den Kapitel-Überschriften. Sie komprimieren das Eigentümliche, Absonderliche jeder Begegnung in einem Satz, der Slogan wird: „Als Richard von Weizsäcker von seiner Angst im Dritten Reich erzählt, höre ich ihn immer wieder kichern.“ Auch Amend kann Weizsäckers Kichern letztlich nicht erklären, vielleicht weil es unerklärlich ist. Vielsagend ist es trotzdem: Es markiert den Riss in der Fassade des Edelmanns im Präsidentenstuhl, wenn die Rede auf den Krieg kommt. PATRIK SCHWARZ

Christoph Amend: „Morgen tanzt die ganze Welt. Die Jungen, die Alten, der Krieg“. Karl Blessing Verlag, München 2003, 224 S., 20 €