Balsam auf die arabische Seele

Der Gefangenenaustausch wertet die Hisbollah als Gesprächspartner mit Israel auf. Entsprechend selbstsicher spricht man in Beirut bereits von einer zweiten Runde

BEIRUT taz ■ Vor gut einer Woche noch bombardierte die israelische Luftwaffe vermeintliche Stellungen der Hisbollah im Südlibanon: eine für Israel typische Vergeltungsmaßnahme. Kurz zuvor hatte die Organisation einen israelischen Soldaten getötet und einen verwundet. Mit dem Austausch von vier Israelis gegen 430 Gefangene und 59 Leichen getöteter „antiisraelischer Widerstandskämpfer“ verliert diese Null-Toleranz-Politik an Glaubwürdigkeit. „Dies ist ein Beweis für die Palästinenser“, schrieb die israelische Tageszeitung Haaretz, „dass Israel nur die Sprache der Gewalt versteht.“

Im Libanon hingegen ist man mehr als zufrieden. Der Gefangenenaustausch ist, nach der Vertreibung der Israelis aus dem besetzten Südlibanon im Jahr 2000, der „zweite große Sieg“ für die Hisbollah. Einen „historischen panarabischen Sieg“, nannte ihn ein Offizieller der libanesischen Regierung. Der pathetische Tonfall ist verständlich, gab es doch in den mehr als fünfzig Jahren Nahostkonflikt für die arabische Seite nichts zu feiern. Der Gefangenenaustausch ist Balsam auf die „gedemütigte arabische Seele“. Der Präsident des Libanon, Emil Lahoud, geht noch weiter. Für ihn bedeutet der Gefangenenaustausch „eine klare Anerkennung von israelischer Seite, dass der Widerstand legitim und national ist und keine ausländische terroristische Bewegung“.

Von der Gruppe zur Truppe

Die Aufwertung der Hisbollah als Verhandlungspartner dürfte insbesondere Syrien freuen, in den letzten Monaten im Visier der amerikanischen Außenpolitik. Wie kürzlich die Washington Post berichtete, plant die US-Regierung weltweit Spezialmissionen von Elitesoldaten gegen „Terrorzellen“. Zum Einsatzgebiet gehört auch das libanesische Bekaa-Tal, in dem Ausbildungs- und Waffenlager der Hisbollah vermutet werden. Dort sind auch syrische Truppen stationiert.

Durch den Gefangenenaustausch ist die Popularität der Hisbollah im Libanon wie in der gesamten arabischen Welt groß wie nie. In den letzten zehn Jahren hat sich die Gruppe von einer unkontrollierbaren Miliz zu einer modernen Organisation gemausert. Sie unterhält Krankenhäuser, Wohlfahrtsorganisationen, produziert Computerspiele und hat eine eigene über Satellit zu empfangende Fernsehstation. Obendrein sitzen zwölf Abgeordnete im libanesischen Parlament. Hisbollah gilt als einzige Partei ohne Korruption. Der militärische Flügel verfügt über 5.000 aktive Soldaten, die über eine ausgezeichnete Bewaffnung aus dem Iran verfügen und eine reale Bedrohung nicht nur für Israel darstellen.

Durch den Gefangenenaustausch fühlt sich die Hisbollah in ihrer Politik bestätigt. Im Gegensatz etwa zu Hamas oder Islamischem Dschihad lehnt sie Racheakte ab. Sie versucht dem „zionistischen Feind“ ihre Taktik aufzuzwingen – was ihr diesmal vollendet gelungen ist. In einer zweiten Runde will man noch mehr Gefangene „befreien“. „Der Kampf geht weiter“, wie Generalsekretär Hassan Nasrallah versichert. Wie üblich an allen Fronten. ALFRED HACKENSBERGER