in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über vergängliche Stadien

Zurück aus der Zukunft

Als ich mein Auto nach zwanzig Minuten immer noch nicht gefunden hatte, war der Gedanke endgültig nicht mehr abzuweisen, der schon den ganzen Abend lang in meinem Kopf gesimmert hatte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Langsam ging es auf Mitternacht zu, während ich noch zu rekonstruieren versuchte, ob der Wagen auf Ebene null oder eins abgestellt war und ich gerade die grünen Werbeschilder der Kpn-Bank mit den grünen Werbeschildern der Ptt-Telekom verwechselte, die hier unterschiedliche Parkzonen markierten. Kopfschüttelnd suchte ich weiter und fragte mich, wo ich eigentlich gelandet war.

Es gibt Leute, die selbst heute noch sagen würden: in der Zukunft. In einem silbernen Stadion, das wie ein Raumschiff vor den Toren von Amsterdam gelandet wirkt. Futuristisch sah es aus, und bei der Eröffnung vor sieben Jahren wurde die ArenA für die modernste Kathedrale des Fußballs gehalten. Alles war imposant an diesem Ort ohne Geschichte, direkt an der Autobahn inmitten einer Bürostadt gebaut, als könnte gerade hier etwas ganz Neues beginnen. Es gab Logen, Business-Seats und gestaffelte Vergünstigungen (nicht zuletzt des Parkens), mit denen die zuvor nivellierte Stadiongesellschaft endlich ausdrücken konnte, wie unterschiedlich sie doch war. Mit dem verschließbaren Dach war die ArenA leicht in eine Halle zu verwandeln, denn sie sollte kein unrentabler Ort für Fußball allein sein. Auch die VIP-Räume konnten jenseits der Spieltage für Tagungen und Geschäftsbesprechungen genutzt werden und das Parkhaus von Pendlern, die mit der S-Bahn schnell in die Stadt fahren konnten. Es wurde daher auch nicht Parkhaus, sondern Transferium genannt.

Nur wollten die Leute dort nicht parken und transferieren. Dann wurde der Rasen wegen fehlenden Sonnenlichts braun und musste alle paar Wochen ausgetauscht werden. Es gab zu wenig Konzerte und Tagungen unter dem Hallendach, sodass die ArenA wirtschaftlich nicht erfolgreich war. Und inzwischen ist die Idee der ArenA so sehr gealtert, dass ich mir auf der Suche nach meinem Auto vorkam, als würde ich durch die Vergangenheit der Fußballstadien stapfen. Irgendwann wird darüber wahrscheinlich gesprochen, wie man heute über Klappräder redet. Als Witz, der für die Verwirrungen einer bestimmten Zeit steht. (Also ein Rad zusammenklappen, es in den Kofferraum legen, in den so genannten Naherholungsbereich zu fahren, es dort auseinander klappen und so genannte Freizeit verbringen.)

Das Parkdeck unter dem Spielfeld war so absurd aufwendig wie die Notwendigkeit, die Parkkarte in eine Maschine einführen zu müssen, um hinter der Schiebetür die Suche nach dem Auto beginnen zu können. Und wozu brauchte man Rolltreppen im Bauch der Tribünen? War ich in einem Möbelcenter? War es logisch, dass das Publikum die Aura des Ortes eingeatmet hatte wie ein Betäubungsgas und die wunderbare Leistung von Ajax Amsterdam in der Champions League mit dem Enthusiasmus von Besuchern eines Imax-Kinos aufnahm?

Irgendwann, so dachte ich, werden alle den Schwindel bemerken, dass Fußballstadien nicht mehr sein können als das. Dass man vielleicht ein wenig Geld mit Shops unter den Kurven und mit Restaurants hinzuverdienen mag, aber nie genug. Vielleicht gefiel mir der Gedanke auch einfach nur gut, dass man die Tempel des Fußballs nicht in Supermärkte verwandeln kann, und ich erinnerte mich an den Bürgermeister der südkoreanischen Stadt Jeonju. Sein WM-Stadion war wunderschön (die Pylone und Drahtseile der Tribünen spielen auf die altkoreanische Zither an) und zu nichts als Fußball tauglich. Als ich im letzten Sommer bei einem Abendessen neben ihm saß, wollte ich wissen, was er mit dem Stadion machen würde, denn es gab nicht einmal einen Fußballklub dafür. Der Mann erklärte etwas gequält, einen Golfplatz und einen Park drumherumbauen.

Irgendwann also werden die Bürger von Jeonju an einem warmen Sommertag im Park sitzen und ihr schönes Stadion anschauen, wie man es hierzulande mit alten Schlössern tut. Das ist verrückt, aber mir gefiel es.

Fotohinweis: Christoph Biermann, 42, liebt Fußball und schreibt darüber.