Mozart zieht blank

Uwe Hergenröder hat Peter Shaffers „Amadeus“ am Dortmunder Schauspiel schlicht-schön inszeniert

Peter Shaffers „Amadeus“, 1979 am Londoner National Theatre uraufgeführt und jetzt am Dortmunder Theater auf dem Spielplan, ist ein schönes Stück Theaterliteratur. Einerseits führt es uns einen infantil-vulgären Wicht namens Mozart vor Augen, andererseits den konstanten Künstlertraum von der Unsterblichkeit. Wenn sich schon das Hirn, dem die Kunst entspringt, den Gesetzen der Zeit beugen muss, dann soll zumindest die Kunst ewig erhalten bleiben.

Shaffers These, Mozart sei von seinem Antipoden Antonio Salieri getötet worden, ist hinlänglich berühmt. Doch wollte Salieri, „Kompositeur“ am Hofe von Joseph II., wirklich durch einen weibischen Giftmord an Mozarts Unsterblichkeit teilhaben? Möglich wäre es. „Ich wollte wie ein Komet am Firmament Europas aufstrahlen“, ruft Jürgen Hartmann als Salieri ins Publikum, „doch nur auf eine einzige Art. Musik. Das Absolute: Musik.“

Zuweilen gelang es diesem Salieri auch, zu glänzen, zu glühen. Aber nur kurz. Dann verloderte er kläglich im schwellenden Feuer von Mozarts mächtiger Musik. Retrospektiv erzählt uns Salieri von seiner Fehde mit „Wolferl“, dem zerzausten Musikgenie, der wie kein anderer teuflische Triebe und göttliche Eingebung verband. In Dortmund spielt Michael Kamp den Mozart auf genau dieser Ebene: er robbt über den Boden, er zieht blank, er lacht ein schepperndes Lachen – und schreibt nebenbei ein paar Partituren. Genial? Reif für die Couch? Bei Kampe bleibt das immer offen. Ganz im Gegensatz zu Hartmann, der den Salieri als humoresken Schöngeist gibt, dessen einzige Laster die Sucht nach Süßem und der Drang nach Geltung zu sein scheinen.

Uwe Hergenröder hat „Amadeus“ schlicht-schön und mit leichter Hand inszeniert. Bis auf wenige Mätzchen bleibt er nahe an Shaffers Text. Nun gut: Mal senkt sich ein Klavier tastatur-über vom Theaterhimmel, mal schlägt Claus Dieter Clausnitzer als kaiserlicher Kammerherr italienische Bonmots im Mini-Langenscheidt nach. Ansonsten aber: aufgeräumt, durchsichtig, insgesamt zweieinhalb kurzweilige Stunden, in denen Hergenröder rundweg auf sein Ensemble setzt. Auf Kamp und Hartmann, die grandios ihre Verschiedenheit ausspielen; auf Jürgen Uter als latent dämlichen Joseph II., der auf dem Rücken seiner Lakaien thront und irgendwas von „Späktokel muss seyn“ und „Jo, des war‘s donn wohl“ faselt; und natürlich auf üppige Hofdamen: Hier fällt vor allem die entzückende Johanna Marx in der Rolle der Mozart-Gattin Constanze auf. Erst mimt sie ein schüchternes Mädel, später ein hysterisches Frauenzimmer. Wunderbar. Und wie passend, dass „Wolferl“ sie bloß „Stanzerl“ ruft – duzi duzi.

Kerstin Fabers und Ulrich Schulz‘ Bühne erzeugt mit wenigen Mitteln reichhaltige Rokoko-Atmosphäre. Die Rückwände schillern in wechselnden Farben, ein bedrohlich großes Metronom symbolisiert die Zeit und den Ausgang aus dem Dasein. Wer hier hinaus kreucht, wird niemals der Vergessenheit anheim fallen. Mozart geht diesen Weg, na klar. Aber auch Salieri schafft es so als vermeintlicher Mörder in die Musikgeschichte.

BORIS R. ROSENKRANZ