Geköpfter Engel – Mozart auf der Streckbank

Halbstarke von gestern und Sektierer dürfen an Billig-Tarif-Bühnen ein bischen berserkern: Andràs Fricsay inszeniert die „Entführung aus dem Serail“ an der Deutschen Oper in Düsseldorf und tapert auf der Bühne ein bißchen mit

Geiselnahme ist ein einträglicher Wirtschaftszweig. Weltweit und mit lukrativen Nebengewerben (wie Freilassungs-Diplomatie und Sensations-Journalismus). Selbst für die Theater gibt „Die Entführung“ immer noch eine Menge her. Im vergangenen Sommer ließ Jerôme Deschamps in Baden-Baden und Aix-en-Provence einen wunderbar ironischen Kunst-Orient und eine Studie über Vorurteile vortanzen. Stefan Herheim zeigte in Salzburg das Singspiel von 1782 als modernes Gesellschaftsspiel, interpretierte dabei die christlich-aufklärerischen Projektionen wie die Gewaltphantasien aus dem Geiste Strindbergs. Nach solch intelligenten Interpretationen haben es die, die später kommen, schwer - zumal unten in der Regional-Liga, in der die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf/Duisburg spielt.

Alexander Joel gefällt am Dirigentenpult mit luftigen Schönschreib-Übungen, ist aber nicht effektiv: Allzu viel Wackler verderben den Pudding. Catriona Smith, die Aushilfs-Konstanze mit der Ausstrahlung einer mater dolorosa, verhuscht die Koloraturen. Auch die Blonde aus Norwegen, Eir Inderhaug, vermag die Sahnehäubchen auf den schlichten Kuchen der Singspielmelodien nicht ebenmäßig aufzubringen. Für alle drei Aufzüge hat Johannes Leiacker den Altarraum einer umgewidmeten Kirche an den Gestaden des Bosporus vorgesehen. Offensichtlich haben die Muslime bei der Eroberung die christlichen Gemälde und Skulpturen ihren religiösen Regeln angenähert (der Engel links vorne zum Beispiel wurde geköpft). Vor allem aber wurde der Dialog-Text von Christoph Friedrich Bretzner und Gottlieb Stephanie d.J. erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt auf heißen Stangen - heißt verbogen und auf der Streckbank langgezogen. Jedenfalls banalisiert die Bearbeitung durch Annäherung an Soap-Dialoge: „Pedrillo - du bis der Allergrößte“, piepst die Blonde ihrem Galan ins Öhrchen. Und der ranzt den Aufseher Osmin an: „Mit Freundlichkeit und Wein/ Lacht auch ein Küstenschwein“. Der Regisseur Andràs Fricsay tapert als Bassa Selim wie ein betagter kirchlicher Würdenträger um den Altar, zieht mit altersgeilen Blicken die Frauen aus. Doch Fricsay ist noch nicht einmal ein halber Kresnik. Freilich hat er von Peter Konwitschny abgeschaut. Während des Mohrenland-Ständchens fällt Pedrillo von der langen Leiter und aus der Rolle: er beschwert sich beim Publikum über die groteske Theater-Situation und sein hartes Los als Spieltenor im besonderen. Das „Aufsprengen“ eines Stücks durch scheinbar spontane Meinungsäußerung eines Protagonisten erschien bei Konwitschnys Hamburger „Meistersingern“ noch politisch motiviert. Bei Fricsay ist es lediglich ein Entertainment-Gag, so unmotiviert wie das Einheitsbühnenbild. Das wird - gleich, ob es um die Außenansicht des Serails geht, dessen Inneres den Augen noch verschlossen ist, oder um das Innere, aus dem noch nicht einmal Blicke hinausdringen können, auf die gleiche banale Weise bespielt.

Das Regie-Theater wird Ungeister, die es rief, nicht mehr los. Halbstarke von gestern und Sektierer dürfen an den Billig-Tarif-Bühnen blindwütig bearbeiten und ein bißchen billig berserkern. Der Populismus der Intendanten rechnet sich jedoch nicht unbedingt. Er rächt sich sogar im Fall Düsseldorf: zur Pause verließen knapp die Hälfte der Premierengäste das Parkett. Gut für Tobias Richter, dass es für Mozart und Entführungen noch kein Produkthaftungsgesetz gibt. FRIEDER REININGHAUS