schmickler macht ernst
: Impertinente Belästigungen

WILFRIED SCHMICKLER: Der Mann mit der Axt holzt für die taz

Endemol-Boss Boris Brandt, der Gottvater der televisionären Darmentleerung, hat es auf den Punkt gebracht: „Die Menschen haben sich an die schlechte wirtschaftliche Lage gewöhnt und brauchen Thrill, wenn sie fernsehen!“ Und deshalb heißt es ab sofort nicht mehr fern-sehen, ab sofort heißt es: driss-sehen, schleimscheiße-sehen, kotze-sehen – und zwar je unerträglicher, desto Quotenbringer. Alle Mann auf die exkremente-besudelte Kriechspur in die mediale Alles-egal-Zukunft! Uääh! Ist das eklig! Ich kann gar nicht mehr weggucken!

Obwohl, ihr lieben angeblich so ganz und gar abgestumpften Gewohnheitstiere, wenn ihr euch mal so richtig ekeln wollt, dann lasst mal einen Nachmittag die Glotze aus und besucht einfach mal einen dieser bundesdeutschen Gerichtssäle, in denen zur Zeit die diversen Korruptionsprozesse stattfinden.

Und damit der Schock nicht gleich so groß ist, fangt ihr am besten erst mal klein an und zwar hier in Köln beim Prozess um die Schmiergelder beim Bau der Müllverbrennungsanlage.

Da taucht zum Beispiel der ehemalige Kölner Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier als Zeuge auf, schwört kackfrech die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, und was sagt er am Ende: nichts! Beziehungsweise er antwortet auf jede, aber wirklich auf jede Frage des Gerichts mit dem altbekannten Hasenwitz: „Ich kann mich nicht erinnern“.

Da ist wirklich unglaublich. Dem haben sie beim Betreten des Gerichtsgebäudes die komplette Festplatte gelöscht. Der konnte sich schon nicht mehr erinnern, als der Vorsitzende Richter ihn nach seinem Namen gefragt hat. Und am Schluss hat er nicht mehr rausgefunden aus dem Verhandlungssaal, weil er vergessen hatte, wo er reingekommen war. Der arme Mann hatte den totalen Black-Out.

Den hatte ja auch der Deutsche-Bank-Boss Ackermann im sogenannten Mannesmann-Prozess. Als er mit diesem unglaublich selbstgerechten Aasgeiergrinsen das Victory-Zeichen gemacht hat. Und dabei meinte der damit gar nicht Victory, der meinte „Verpisst euch!“

Schluss mit diesen impertinenten Belästigungen. Im Zweifelsfall können die Herren sich eh an nichts mehr erinnern. Oder sie kriegen Depressionen und zwar genau so viele, wie ausreichen, um verhandlungsunfähig geschrieben zu werden.

Jetzt mal ehrlich: Gegen diese Realitäten, da ist doch das schockierendste Reality-TV einfach nur kalter Kaffee! Wie bitte? Über solche dreisten Abzocker-Nummern regen Sie sich schon lange nicht mehr auf? Da fehlt ihnen der Thrill?

Na, dann schalten Sie schnell um auf MTV, da läuft gerade Jackass. Da schluckt einer solange rohe Eier, bis er kotzen muss, und dann macht er aus dem Erbrochenen ein leckeres Omelette. Nur für Sie. Guten Appetit!