Macht und Kontrolle

Im Stalker-Prozess um die Tötung seiner Ex-Lebensgefährtin plädiert die Nebenklage überraschend auf Mord. Die Staatsanwaltschaft hält am Totschlag-Vorwurf gegen den 37-jährigen Türsteher fest

VON KAI VON APPEN

Das ist selten, dass die Nebenklage in einem Verfahren explizit über das Maß der Staatsanwaltschaft hinausgeht. Im Totschlags-Prozess gegen Ali U. (37) vor dem Hamburger Landgericht hat Nebenklagevertreterin Gabriele Heinecke am Dienstag zum Prozessende im Plädoyer beantragt, den Stalker und Türsteher wegen Mordes an seiner Ex-Lebensgefährtin Aysin T. (33) zu verurteilen. „Der Angeklagte hat Frau T. sowohl heimtückisch als auch aus niederen Beweggründen getötet“, begründet Heinecke ihren Antrag.

Der Staatsanwalt hatte zuvor diese Mordmerkmale in seinen Ausführungen nicht sehen wollen. Er bewertete die Tat als Totschlag und forderte zwölf Jahre Haft. Ali U. hatte am 26. März dieses Jahres Aysin T. vor ihrer Wohnung im Karoviertel aufgelauert – obwohl er sich ihr und dem gemeinsamen achtjährigen Sohn Doganay laut Gerichtsbeschluss nicht nähern durfte – um angeblich Besuchsfragen zu regeln. In der Küche der ehemals gemeinsamen Wohnung schoss er fünfmal auf die Frau, die vor den Augen des Sohnes auf dem Stuhl zusammensackte. „Er hat sie regelrecht hingerichtet“, befindet Heinecke, die Doganay und die beiden Brüder Aysin T.s vertritt.

Mehrere Monate lang hatte U. der 33-jährigen in Deutschland geborenen Türkin nach der Trennung nachgestellt, sie mit SMS und Morddrohungen tyrannisiert – „Ich bringe dich um und wenn ich 20 Jahre in den Knast muss“ – ausgestoßen, da sie sich seinen patriarchischen Diktaten über Kleidung, persönliche Freiheiten und Berufstätigkeit – „es gelten meine Gesetze“ – nicht mehr beugen wollte (taz berichtete). Am 5. Februar hatte U. Aysin T. sogar in ihrer Wohnung vor den Augen des Sohnes misshandelt, was der Junge in einer audiovisuellen Vernehmung vor Gericht schilderte.

Für Heinecke ist es daher nicht glaubwürdig, dass es sich um eine spontane Verzweiflungstat gehandelt habe, weil Aysin T. die neue Geliebte von U. beim Treffen als „Türsteherschlampe“ betitelt haben soll. U. habe vielmehr auch am Tattag das Ziel verfolgt, Asyin T. zu erschießen, die Waffe bewusst mit zu dem Treffen genommen.

Ali U. habe sich zwar kurzfristig im Laufe des Geschehens die Waffe an die Schläfe gehalten – davon geht auch Heinecke nach der Spurenlage aus – „dies allerdings war kein Akt der Verzweiflung, sondern eine Inszenierung im Rahmen eines perfiden und eiskalt durchgeführten Plans“, ist sich Heinecke sicher. „Hätte er die Waffe gleich auf Aysin T. gerichtet, wäre sie aus der Küche geflohen und hätte vielleicht eine Chance gehabt, ihm zu entkommen“, so Heineckes Fazit.

Dazu passt nach Auffassung der Nebenklage auch, dass U. laut Polizei die Festnahme gefasst über sich ergehen ließ und dabei spontan geäußert habe: „Das ging schon neun Jahre so, irgendwann ist es mal so weit.“ Darin sieht die Nebenklage die niederen Beweggründe. Der Angeklagte habe nicht, wie von der Verteidigerin dargestellt, im Streben um das Besuchsrecht im Affekt gehandelt, sondern „mit Gewalt Macht und Kontrolle über Aysin T. ausüben wollen.“ Das Urteil wird Donnerstag erwartet.