Vom Hutton-Bericht zum Hutton-Skandal

Während die BBC kopflos bleibt, holt Premier Blair seine Chefpropagandisten Campbell und Mandelson aus der Versenkung. Die Briten sind nicht begeistert. Eine Mehrheit lehnt laut Umfragen den Hutton-Bericht ab und traut der BBC mehr als Blair

von RALF SOTSCHECK

Tony Blair hätte an Stelle des BBC-Generaldirektors Greg Dyke zurücktreten sollen. Das meint jedenfalls die britische Bevölkerung. In einer Meinungsumfragen des Guardian nach der Veröffentlichung des Hutton-Berichts am Mittwoch, in dem der BBC die Alleinschuld an der Kelly-Affaire gegeben wird, erklärte eine deutliche Mehrheit, der BBC mehr Vertrauen entgegenzubringen als der Regierung – 31 gegenüber 10 Prozent. In einer Umfrage des Daily Telegraph fanden 56 Prozent der Befragten den Hutton-Bericht einseitig und unfair.

Dyke, der am Donnerstag dem Beispiel des BBC-Vorsitzenden Gavyn Davies gefolgt und zurückgetreten war, wehrte sich gestern gegen Huttons Anschuldigungen. Der Richter liege in mehreren juristischen Punkten „eindeutig falsch“, sagte Dyke: „Wir waren geschockt, dass der Bericht so schwarzweiß war. Wir wissen, dass wir Fehler gemacht haben, aber ich glaube nicht, dass wir die Einzigen waren. Es würde mich interessieren, was die anderen Lordrichter von dem Bericht halten. Wir konnten uns den Schiedsrichter nicht aussuchen. Die Regierung hat ihn ausgesucht.“

Die Frage, ob er eigentlich gehofft habe, dass der BBC-Vorstand sein Rücktrittsangebot ablehnen würde, beantwortete Dyke genauso wenig wie Fragen nach seiner Zukunft. „Es ist Freitag, und ich bin arbeitslos“, sagte er. „Damit habe ich nicht gerechnet, und ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht, wie es weitergeht.“ Beim unabhängigen Fernsehsender ITV ist die Stelle des Vorsitzenden gerade frei geworden.

Die BBC-Angestellten hätten Dyke gerne behalten. Nach seinem Rücktritt verließen viele ihren Arbeitsplatz und demonstrierten mit Plakaten vor dem BBC-Gebäude für seine Wiedereinsetzung. Bei der Regierung, die seit ihrem Amtsantritt vor sieben Jahren einen Machtkampf mit der BBC führt, knallten unterdessen die Sektkorken. Spätestens seit der relativ kritischen Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Irakkrieg war klar, dass Premierminister Tony Blair nicht ruhen würde, bis „der Sender enthauptet“ war, wie es der Guardian ausdrückte.

Gestern schickte Blair seine früheren Berater Alastair Campbell und Peter Mandelson vor die Kameras, um den Triumph der Regierung öffentlich zu zelebrieren – ausgerechnet Campbell und Mandelson, für die der Begriff „Spin Doctors“ erfunden wurde. Jahrelang arbeiteten sie mit Halbwahrheiten und Verdrehungen, um jeder Nachricht einen regierungsfreundlichen Dreh zu geben. Sie hatten mehr Einfluss auf die Regierungspolitik als so mancher Minister. Nun belehren sie die Bevölkerung über Wahrheit im Journalismus.

Diese Art von Triumphalismus könnte sich als Eigentor erweisen, warnten gestern zahlreiche politische Kommentatoren und rieten Blair, der laut Verfassung Davies’ Nachfolger ernennen darf, etwas mehr Fingerspitzengefühl zu zeigen. Es wird mehrere Monate dauern, bis Davies und Dyke ersetzt sind.

Zurzeit drängt sich niemand auf, die BBC steckt in der Krise. Im Aufsichtsrat sitzt nur eine Person, die journalistische Erfahrung hat – und sie sitzt für die Konservativen im Oberhaus. Bis ein Nachfolger gefunden ist, führt Davies’ Stellvertreter Richard Ryder das Amt. Er war früher Fraktionschef der Konservativen im Unterhaus.