Von der Welt im Stich gelassen

Der Vorsitzende und Imam der „islamisch-irakischen Gemeinschaft“ in Billbrook, Dia Al-Shakerchi, lehnt den Krieg abund setzt doch große Hoffnungen in ihn: „Die Amerikaner haben keine andere Möglichkeit gelassen“

Interview: Elke Spanner

Herr Al-Shakerchi, aus politischen Gründen haben Sie den Irak 1980 verlassen. Jetzt gehen die USA militärisch gegen Saddam Hussein vor. Ist für Sie heute ein glücklicher oder ein unglücklicher Tag?

Dia Al-Shakerchi: Einerseits ein unglücklicher, weil Krieg immer Zerstörung und unschuldige Opfer bedeutet. Darüber kann niemand glücklich sein. Aber ich habe jetzt auch die Hoffnung, dass das Regime im Irak beseitigt wird. Damit ist viel zu lange gewartet worden.

Mit dem Krieg?

Er ist das einzige Mittel geblieben, das irakische Regime zu stürzen.

Warum?

Die Amerikaner haben es dazu gemacht. Sie waren nicht gewillt, auch nach anderen Alternativen zu suchen. Wir Iraker hätten das lieber anders gehabt. Man hätte noch mehr Druck auf das Regime ausüben, es politisch mehr isolieren müssen. Außerdem haben die Amerikaner sich nur darauf konzentriert, das Regime zu entwaffnen. Es wurde aber nie von Saddam Hussein verlangt, auch die UNO-Resolution umzusetzen, die Menschenrechtsverletzungen verbietet. Ebensowenig wurde die aufständische Bevölkerung unterstützt. Das ganze Volk ist gegen das Regime.

Ihre Hoffnung auf den Sturz von Saddam Hussein überwiegt also die Angst um Ihre Bekannten und Angehörigen im Irak?

Meine Gefühle werden nicht davon beeinflusst, ob ich noch Angehörige dort habe. Es ist immer traurig, wenn unschuldige Menschen zu Opfern werden. Auf der anderen Seite aber sagen wir: Auch das Regime tötet die unschuldigen Menschen. Oppositionelle werden verschleppt, es gibt keine Meinungsfreiheit.

Als Imam kennen Sie viele Iraker in Hamburg. Wie ist die Stimmung unter ihnen?

Viele sagen: Der Krieg war nicht unsere Wahl, aber wenn nur so unser Ziel erreicht werden kann, dann muss es so sein. Aber ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren zu sagen, ich bin für Krieg.

Haben die USA in Ihren Augen das Recht auf einen Feldzug im Namen der Demokratie, wenn sie für diesen die demokratischen Gremien, die UNO, ausschalten?

Die Amerikaner haben immer Doppelmoral geübt. Sie üben Demokratie aus und gleichzeitig eine Diktatur in der Welt. Aber auch wer Doppelmoral hat, kann zufällig in einem Bereich das Richtige erzielen. Egal, wie ernst sie es mit der Demokratie meinen: Ich nehme sie beim Wort.

Deutschland hat sich gegen den Krieg ausgesprochen. Fühlen Sie sich von Ihrem Exilland im Stich gelassen?

Ja. Nicht nur von Deutschland. Die Iraker sind enttäuscht von fast allen Staaten und Völkern. Die sind gegenüber dem Schicksal des irakischen Volkes gleichgültig. Man muss nicht für Krieg sein, aber sich doch dafür einsetzen, dass Völker von Diktatoren befreit werden. Auf der anderen Seite finde ich positiv, dass die Europäer sich nicht alle am Krieg beteiligen. Dass sie eine eigene Politik entwickeln und nicht hinter den Amerikanern herlaufen.

Wie stehen Sie zu den Demonstrationen in der Stadt? Stehen die Ihren Interessen entgegen?

Ich gehe nicht zu den Demonstrationen. Weil ich nicht nur gegen den Krieg, sondern auch gegen die Unterdrückung des irakischen Volkes bin. Aber ich würde dort hingehen, wenn man es mit uns absprechen würde und wir Iraker dort eine eigene Stimme bekämen.