Mission Deutschunterricht

Auf der langen Zugfahrt von Ostberlin nach Osterholz-Scharmbeck holte sich der Autor Jochen Schmidt eine Dönervergiftung – dennoch trug er den Schülern der Berufsbildenden Schulen einige seiner Erzählungen vor

In der Pause sitzt der Berliner Szene-Autor Jochen Schmidt im Lehrerzimmer und trinkt Pfefferminztee. Er sieht etwas bleich aus, denn er hat sich auf dem Weg nach Osterholz-Scharmbeck eine „Dönervergiftung“ geholt, wie er sagt. In der Nacht habe sein Magen dann Aufräumarbeiten durchgeführt. Dennoch liest er, etwas wackelig auf den Beinen, an diesem Morgen vor den Schülern der Berufsbildenden Schulen in Osterholz-Scharmbeck, die sich einige Wochen mit seinen Arbeiten beschäftigt haben.

„Wer genau aufpasst, wird bemerken, dass er sich mit mir immer in einer Art Talk-Show befindet. Ich übe nämlich heimlich, um für den Fall der Fälle vorbereitet zu sein.“

Jochen Schmidt ist Ost-Berliner. Seit mehreren Jahren treibt er sich in der Literaturszene am Prenzlauer Berg herum. Seinen Durchbruch hatte er 2000 mit dem Erzählband „Triumphgemüse“, erschienen im Beck Verlag. Einmal pro Woche tritt er in der „Chaussee der Enthusiasten“ auf, einer wöchentlich stattfindenden Lesung, bei der jeder Autor maximal acht Minuten Zeit hat, sich zu präsentieren. Überhaupt liegen Jochen Schmidt die Berliner Lesebühnen, er hört sich gerne vorlesen. Manchmal hat er auch Auftritte in kleinen Fernsehshows, die er gerne in seinen Erzählungen verarbeitet.

„Ein paar Monate später wurde ‚Trendstadt Berlin‘ abgesetzt. Ich weiß nicht, ob ich mir das als persönlichen Erfolg anrechnen darf.“

Draußen fährt ein Rettungswagen im grauen niedersächsischen Morgen vor die Schule. Einige Schüler und Lehrer sehen interessiert nach draußen. Es steigt eine offensichtlich unverletzte junge Frau ein, der Rettungswagen fährt weg. Die Gesichter wenden sich wieder dem jungen blonden Mann am eilig aufgebauten Lesepult zu, der auf einen Arm gestützt in die Runde guckt und an einem Zwieback knabbert.

„Immerhin gingen meine Buchverkäufe nicht zurück. Das konnten sie allerdings auch gar nicht. Ich nahm aber vorsichtshalber meine Adresse aus dem Telefonbuch, weil ich befürchtete, dass schon verkaufte Exemplare bei mir reklamiert würden.“

Deutschlehrer Schröder hatte Jochen Schmidt zu der Lesung eingeladen. Letztes Jahr war Malin Schwerdtfeger zu Gast, und der Lehrer bemerkte, dass Erzählungen junger Autoren bei den Schülern ankamen. An Jochen Schmidt interessierte Lehrer Schröder vor allem die ostdeutsche Herkunft.

„Viele behaupten, als Schriftsteller hätte man Erfolg bei Frauen. Mein Leben hat es sich aber in den Kopf gesetzt, einen lückenlosen Gegenbeweis zu dieser Hypothese zu führen. Meine Erfolglosigkeit bei Frauen steht inzwischen schon in krassem Missverhältnis zu meiner nicht ganz unbeträchtlichen Attraktivität.“

Jochen Schmidt möchte gerne wissen, ob die Schüler durch das häufige Motiv „Beziehungen“ in seinen Kurzgeschichten genervt seien. „Hattest du eigentlich schon mal eine Freundin?“ fragt eine Schülerin den 32-Jährigen. Schmidt lacht kurz und hält eine längere Rede ohne die Frage zu beantworten.

Stattdessen stellt Schmidt die Gegenfrage, welche Bücher die Schüler zurzeit lesen. „Effi Briest“, schallt es ihm entgegen. Das hat Jochen Schmidt auch in der Schule gelesen, aber sein Lieblingsbuch sei „Fänger im Roggen“ von J.D. Salinger. Das ist den Schülern unbekannt. Schweigen. „Ist ja eigentlich auch genug, anderthalb Stunden!?“ bemerkt Schmidt und packt seine Unterlagen zusammen. Der Saal leert sich schnell. Auf dem Weg zum Lehrerzimmer sieht Schmidt noch einmal auf der Toilette vorbei. Gerrit Koy