Juristerei ist Politik

„Bündnisverpflichtungen“ der Nato rechtfertigen keinen Einsatz deutscher Soldaten im Irakkrieg

von BETTINA GAUS

Diskussionen über das Völkerrecht wirken häufig besserwisserisch und weltfremd. Wer will schon über Paragrafen streiten, wenn es um Menschenleben und Menschenrechte geht! Eine erfreuliche Haltung für alle diejenigen, deren Kurs durch rechtlich unsicheres Terrain führt. So zum Beispiel für Bundeskanzler Gerhard Schröder: Nicht um „Juristerei“ gehe es, sondern um politische Entscheidungen. Als ob rechtliche Grundsätze unabhängig von Prinzipien erarbeitet würden.

Der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe forderte gestern mehrfach, der Kanzler möge öffentlich kundtun, dass sich der Krieg gegen den Irak auf eine gesicherte juristische Grundlage stützen könne: „Er schuldet der Bevölkerung ein Wort, dass er zumindest die Rechtsauffassung der Vereinigten Staaten akzeptiert.“ Ob Schröder das tut, ist genau die Frage. Verletzt der Krieg gegen den Irak das Völkerrecht? Zu dieser Einschätzung haben sich offiziell bisher weder SPD noch Grüne durchringen können.

Es gebe für den Angriff „keine Rechtfertigung“, hat Schröder vor einigen Tagen gesagt. Was eine inhaltliche Wertung, nicht aber eine juristische Deutung beinhaltet. Ähnliches ist jetzt aus der grünen Bundestagsfraktion zu hören: Nach Meinung von deren Rechtsexperten wird ein Angriff auf den Irak von der Resolution 1441 gedeckt, so lange der UN-Sicherheitsrat den Krieg nicht ausdrücklich ablehnt. Das ist eine feinsinnige Rechtsaufassung – schließlich könnten die USA eine solche Ablehnung jederzeit mit ihrem Veto verhindern.

1981 haben die USA übrigens bestritten, dass es so etwas gibt wie ein Recht auf „präventive“ Selbstverteidigung. Damals stimmte auch Washington einer UN-Verurteilung der israelischen Bombardierung des irakischen Atomreaktors Osirak zu. Weil es damals so etwas wie einen legalen Angriffskrieg noch nicht gab. Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen die Machtverhältnisse.

Heute verweist der Kanzler gerne auf „Bündnisverpflichtungen“. Dieser Hinweis wird durch beständige Wiederholung allerdings nicht richtiger. Soldaten der Bundeswehr sitzen an Bord von Awacs-Aufklärungsflugzeugen über türkischem Territorium. US-Streitkräfte genießen in der Bundesrepublik und auch im deutschen Luftraum vollständige Bewegungsfreiheit, und ihre Einrichtungen werden von der Bundeswehr geschützt.

Die Besatzung von Fuchs-Spürpanzern in Kuwait werden nach monatelanger Notbesatzung derzeit auf volle Mannschaftstärke aufgestockt. Damit solle, so Verteidigungsminister Peter Struck, die „Schutzkomponente“ verstärkt werden.

Als ob es darum ginge. Internationale Verträge der Bundesrepublik lassen keinen Zweifel daran, dass Angriffskriege gesetzes- und verfassungswidrig sind – „Schutzkomponente“ hin oder her. Der Nato-Vertrag sieht in Artikel 1 vor, dass sich Nato-Mitglieder jeder Gewaltandrohung und Gewaltanwendung zu enthalten haben. Artikel 26 des Grundgesetzes erklärt bereits die Vorbereitung eines Angriffskrieges für verfassungswidrig.

Und die „Bündnispflichten“? Wahr ist, dass die Entsendung deutscher Soldaten in Nato-Staaten nicht jedes Mal einer parlamentarischen Genehmigung bedarf. Der Bundestag hätte viel zu tun, müsste er jede Abordnung von zwei Offizieren nach Dänemark billigen. Damit werden jedoch militärische Aktivitäten von Nato-Staaten innerhalb des Bündnisgebietes nicht automatisch erlaubt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 die Zustimmung des Parlaments für jeden „konkreten Einsatz“ bewaffneter Streitkräfte zwingend vorgeschrieben – und zwar sogar für den Fall, dass ein Bündnispartner Beistand fordert. Zwar schreibt der Nato-Vertrag fest, dass jedes Mitgliedsland einem solchen Begehren nachkommen muss. Offen bleiben aber Art und Umfang. Theoretisch genügte sogar eine Solidaritätsadresse.

Die Aktivitäten deutscher Awacs-Bestzungen in der Türkei ergeben sich also keineswegs zwangsläufig aus Bündnisverpflichtungen, ebensowenig wie die Genehmigung der Bewegungsfreiheit von US-Truppen in Deutschland. Schließlich ist der Krieg gegen den Irak weder eine UNO- noch eine Nato-Operation.

1993 wurde das Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut von 1959 im Lichte des 2-plus-4-Vertrages geändert. Seinerzeit betonte die Bundesregierung in ihrer Denkschrift, es sei eine „grundlegende Verbesserung“, dass nunmehr alle Bewegungen der Entsendestaaten auf deutschem Territorium zustimmungspflichtig seien. Übrigens: Diesen Zustand nennt man Souveränität. Der vom 2-plus-4-Vertrag für Deutschland ausdrücklich festgeschrieben wird.

Befürworter der Awacs-Einsätze betonen derzeit gern, dass die USA sich vermutlich für die Planung ihrer Angriffe auf den Irak dieser Maschinen nicht bedienen werden. Das stimmt – und ist rechtlich unerheblich. Denn die Bundeswehrsoldaten in der Türkei unterstehen einem Nato-Kommandeur – der theoretisch jederzeit ihre Verlegung an die irakische Grenze fordern könnte. Es wäre nett, wenn es dafür wenigstens eine Rechtsgrundlage gäbe. Artikel 2 des Nato-Truppenstatuts verpflichtet übrigens ausländische Truppen, das Recht des Aufenthaltsstaates zu achten. Wenn die Unionsparteien vom Verfassunsggericht bescheinigt bekämen, dass der Irakkrieg völkerrechtwidrig ist, dann dürften sie keinerlei Aktivitäten des deutschen Militärs zustimmen. Das brächte sie in eine ganz schlimme Zwickmühle.