Keine Illusionen für die Zukunft

Kaum jemand in Bagdad lässt sich vom Ausbleiben der Schocktherapie täuschen: Die nächsten US-Angriffe dürften das Zentrum nicht erneut aussparen

aus Amman KARIM EL-GAWHARY

„Unruhiges Warten auf mehr“, so lässt sich die Stimmung in Bagdad am Tag nach den ersten US-Luftangriffen beschreiben. Am Telefon gaben sich viele erleichtert, dass die erste Angriffswelle nicht die erwartete amerikanische Schocktherapie darstellte. Er habe die Sirenen und das Luftabwehrfeuer gehört, aber die weiter entfernten Einschläge der US-Raketen seien nur sehr leise zu vernehmen gewesen, erklärt ein im Zentrum der irakischen Hauptstadt lebender Bekannter. Als er seine Töchter abends ins Bett brachte, hatte er versucht, sie vorzubereiten. Es werde schlimmer als alles, was sie bisher erlebt hätten, aber die Eltern seien bei ihnen, hatte er seinen Töchtern erklärt.

Nach dem Beginn der Angriffe verbrachte er den Rest der Nacht damit, staatliches Fernsehen zu sehen und sich mit seinem neu erstandenen Kurzwellenradio über den arabischen Dienst der britischen BBC zu informieren. Außerdem habe nach den Angriffen ständig das Telefon geklingelt. Verwandte und Freunde haben angerufen und sich des gegenseitigen Wohlbefindens versichert. Ob das alles gewesen sei, fragten seine Töchter am nächsten Morgen verwundert. Nun muss er den Kindern erklären, dass es damit nicht getan ist. Denn kaum jemand gibt sich der Illusion hin, dass die nächsten Angriffe das Zentrum der Stadt erneut aussparen werden.

Unterdessen war er am nächsten Morgen kurz zum Luftschnappen auf der Straße. Er könne sich frei bewegen, erzählt er. Eine zunächst von der Regierung angekündigte Ausgangssperre im Falle eines Angriffs wurde nicht durchgesetzt. Die bewaffneten Mitglieder der regierenden Baath-Partei in ihren olivgrünen Uniformen, die nachts die Straßen patrouillierten, wurden im Verlauf des Morgens immer mehr von Menschen abgelöst, die aus ihren Häusern kamen, um in der nächsten Bäckerei Brot zu holen. Bis zu den Mittagsstunden nahm dann auch wieder der Verkehr auf den Straßen zu, obwohl es an diesem Donnerstag nirgendwo zu den sonst üblichen Verkehrsstaus in den Stoßzeiten kam.

Auch aus der nördlichen Stadt Mosul vermeldete der dortige Korrespondent der arabischen Fernsehstation al-Dschasira ein relativ normales Straßenbild. Vehement stritt er Berichte ab, wonach sich viele Einwohner sicherheitshalber abgesetzt hätten. Die von der Zentralregierung in Bagdad kontrollierte Stadt liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der kurdischen autonomen Gebiete.

Noch am Vormittag meldete sich der irakische Informationsminister Muhammad Sahaf auf einer Pressekonferenz in Bagdad zu Wort und bezeichnete die US-Regierung als eine „Mörderbande“ bei ihrem vermeintlichen Versuch, durch den ersten Militärschlag hohe irakische Offizielle und möglicherweise gar Saddam Hussein selbst zu treffen. Der war kurz nach den Angriffen im irakischen Fernsehen als lebender Beweis für das Scheitern dieses Versuchs erschienen, hatte den US-Angriff als ein „weiteres Verbrechen gegen den Irak und die Menschheit“ bezeichnet und die Iraker zum Widerstand aufgerufen.

Nach Angaben der irakischen Regierung waren bei den Angriffen im Morgengrauen mehrere leere Gebäude des irakischen Fernsehens und Rundfunks und ein Haus des irakischen Zolls getroffen worden. Dabei soll ein irakischer Zivilist getötet und mehrere verletzt worden sein. Abgesehen von einer Demonstration im Zentrum Kairos, war es zunächst in den arabischen Nachbarländern ruhig geblieben. Ungefähr tausend Demonstranten, viele von ihnen Studenten der Amerikanischen Universität in Kairo, versuchten in den Mittagsstunden zur nahe gelegenen US-Botschaft zu marschieren. Sie wurden von einem massiven Polizeiaufgebot aufgehalten. Dagegen war es in Jordanien in unmittelbarer Nachbarschaft des Irak ruhig geblieben. „Erst das ganze Gerede von Schocktherapie, und dann fliegen nur ein paar Raketen hin und her“, sagt Tarek der Taxifahrer, der eigentlich in der ersten Kriegsnacht einen ersten massiven US-Militärschlag erwartet hatte. Wie überall in der jordanischen Hauptstadt Amman lief auch in seinem Auto ständig das Radio mit Nachrichten. Wenn es Ernst wird, dreht der jugendliche Taxifahrer immer auf Radio Sawa. Auf jenen arabischen Radiosender, der nach dem 11. September von den US-Behörden in der Region eingerichtet wurde, um mit einer Mischung aus neusten Top-10-Hits und Nachrichten aus US-Regierungsperspektive die arabische Jugend anzusprechen. „Wenn die Amerikaner schon den Krieg führen, dann informiere ich mich am besten an der Quelle“, argumentiert Tarek.

Auch beim Reifenhändler, der einigen Passanten bei strömendem Regen kurz in seinem Laden Unterschlupf gewährt, läuft das Transistorgerät, und alle lauschen gespannt den neusten Analysen und Ereignissen aus dem Nachbarland. „Es ist beschissen und kann nur noch beschissener werden“, wirft der Reifenhändler in die Runde. Alle nicken. „Aber was soll’s“, fügt er hinzu, „wir können ohnehin nur ohnmächtig zusehen.“