Dem Maroden nachtrauern

Howard Katz Fireheart wehrt sich in „Scars“, einer autobiografischen Performance, gegen den Druck der Erneuerung

Er hat sich einen Metallrahmen mit Sprossen auf die Bühne gestellt und schiebt ihn über den Tanzboden; hinterher markiert die Assistentin die Stellen mit weißem Klebeband. Dann stellt er sich in das enge Viereck, reckt das Kinn über die oberste, das Gemächt über eine untere Sprosse und ein merkwürdig komischer Augenblick entsteht: Howard Katz Fireheart probt sein neues Stück „Scars“.

Freundlich und diszipliniert ist der aus New York stammende Performer, nichts deutet auf ein exzentrisches Verhalten hin. Als „Szenetausendsassa“ hat man ihn in der Presse bezeichnet, als „Enfant terrible des Tanzes“ und „hyperaktiven Multikünstler“. Darauf angesprochen, zuckt er mit den Schultern. Sollen die Leute schreiben, was sie wollen, zur Tanzszene fühle er sich eh nicht zugehörig. Tanz ist in seinen Augen eine dead art. „Da passiert nicht viel, da wird an der stilistischen Perfektion gefeilt und wenig an der Perspektive auf die Welt.“ Seine Liebe gilt der Kampfkunst, der Musik und den Visuellen Künsten, in den Tanz sei er so reingerutscht. „Ich bin keine große Person in der Tanzgeschichte“, sagt der Performer, „ich mach das nur, weil ich eine Macke habe.“ Macke genug jedenfalls, um immer wieder Stücke zu produzieren, die von der Tanzwelt erfreut als Erweiterung ihrer Grenzen aufgenommen werden.

Fireheart ist ein gut aussehender Mann in den Vierzigern, mit Koboldbart und roter Wollmütze. Er erzählt, dass er im K 77 lebt, einer Kommune in Prenzlauer Berg. Seine Wohnungseinrichtung ist von der Straße aufgesammelt, vielleicht, um so dem Verschwinden der maroden alten Hausfassaden in Berlin entgegenzutreten, die er bedauert. Sein Alter verrät er nicht, weil die Leute eine „falsche Idee“ vom Alter hätten. Umso lieber spricht er über „Prozesse“ und über Narben, die in seinem neuen Stück eine Hauptrolle spielen. „Scars“ erzählt von seelischen, emotionalen Verwundungen, von Wunsch und Realität, von Spleen und Ideal.

„Scars“ trägt autobiografische Züge. Das „Leben eines Mannes in Berlin“ liegt dem Tanzsolo zugrunde, und es zeigt die Veränderungen auf, die der Mann und die Stadt in den vergangenen sieben Jahren erfuhren, und – natürlich – die Narben, die geblieben sind. Howard Katz Fireheart stellt sich selbst dar, in verschiedenen Facetten und Subpersönlichkeiten. „Sinnliche Erinnerungen“ nennt er diese Annäherungen an sich selbst, in denen er Privates abstrahiert und in Bewegungssprache umsetzt. Die „Narbe“ dient ihm dabei als Figur des fragmentierten Ich, als Zeichen zersplitterter Weltwahrnehmung und auch als Orientierungspunkt in der Suche nach Identität. „Vernarbungen sind wie Teile eines zerstückelten Ganzen“, sagt Fireheart, „sie erinnern an die zugefügten Wunden, und an den Heilungsprozess.“

Seit sieben Jahren lebt Fireheart in Berlin. Aufgewachsen ist er in New York, hat dort Tanz und Schauspiel studiert, in den New Dance Group Studios und bei Alvin Aylee, hat in Ägypten performt, in Korea, in Wien und Berlin. Er hat in den Achtzigern das Kunstlabel KOOK gegründet, bei dem vor kurzem die neue CD seiner Band „Post Holocaust Pop“ erschienen ist. Er gibt Workshops in „Budoflux“, einer Synthese aus Martial Arts und fließenden Bewegungsstudien. „Budo“, der Weg des Kriegers, bestimmt Firehearts Solostück „Kata“, mit dem er sich vor zwei Jahren einen Namen machte. „Da habe ich Bewegungsabfolgen aus dem Karate, die Katas, in einen dramatischen Kontext gesetzt“, erklärt er, „um zu zeigen, dass ein bestimmtes Thema, ein einzelner menschlicher Konflikt, Teil eines größeren Prozesses ist.“ Neben „Kata“ gilt „Fakebook“ mit skurrilen Transformationen zum Thema Männlichkeit, als eines seiner besten Berliner Stücke. Dies nicht zuletzt wegen seiner schnörkellosen Darstellung, die Grotesk-Dadaistisches mit minutiöser Genauigkeit, Sprache, Gesang und der strengen Schönheit imitierter Kampf- oder Tierbewegungen zu verbinden weiß.

Howard Katz Fireheart ist umtriebig. Mit dem Pianisten Ari Benjamin Meiers hat er ein Songprogramm erarbeitet, mit dem Cellisten Matthias Herrmann die Band Post Holocaust Pop gegründet, mit dem Regisseur Alexander Ambite Y Mensen sein neues Solostück noch einmal komplett überarbeitet. Zufrieden ist er noch nicht. „Am liebsten würde ich weiter weg stehen“, gibt er zu, „aber dafür habe ich nicht genug Geld. Und deshalb bin ich Performer und benutze mich selbst.“

JANA SITTNICK

„Scars“, Sa. und So., 20 Uhr, Theater am Halleschen Ufer