Landschaften der Seele

Wie Bäume und Zerstörung zusammenhängen: Das Haus der Kulturen der Welt zeigt eine Filmreihe zum jungen arabischen Kino. Den Auftakt macht „Divine Intervention“, ein Road-Block-Movie des palästinensischen Regisseurs Elia Suleiman

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Unerfreuliche Umstände haben manchmal positive Nebenwirkungen: Selten erschien das arabische Kino so interessant wie jetzt. Von Spiel- und Dokumentarfilmen aus der Region erhofft man sich den Blick hinter den Rücken der Korrespondenten, die im Moment in Endlosschleife den Bildschirm füllen. Das bedeutet aber auch, dass man die Filme meist mit bestimmten Erwartungen betrachtet, die mehr mit Politik zu tun haben als mit Filmästhetik. Die Filmreihe, die das Haus der Kulturen der Welt in den nächsten Wochen präsentiert – in sieben Porträts namhafter Regisseure und einer Vielzahl von Kurz- und Dokumentarfilmen des jungen arabischen Kinos – zeigt, dass die einzelnen Werke auf ihre Weise bereits mit diesen Erwartungen umgehen.

Elia Suleiman zum Beispiel entzieht sich dem Zwang zum Statement, indem er statt Worten kleine Taten sprechen lässt. In „Divine Intervention“, mit dem die Filmreihe heute eröffnet wird, schweigt die von ihm selbst verkörperte Hauptfigur mit beharrlicher Melancholie. Hinter dem voll tönenden Tragödientitel verbirgt sich eine lose Folge grotesker Einzelszenen. Den Auftakt bildet ein flüchtender Weihnachtsmann. Von Steine werfenden Jungs wird er durch die mediterrane Landschaft gejagt. Es handelt sich um die Gegend bei Nazareth. Der angeklebte weiße Bart verrutscht ihm im schweißigen Gesicht, und in weihnachtliche Folie gehüllte Geschenke fallen ihm aus dem Rucksack. Nichts könnte deplatzierter sein als dieser Santa Claus am Geburtsort der Weihnacht. Man weiß eigentlich gar nicht, ob man darüber lachen soll. Und so geht das den ganzen Film über.

„Divine Intervention“ bietet nicht den comic relief, der sonst den Genuss an schwarzen Komödien ausmacht. Der Humor von Elia Suleiman ist eher von der Art, die einen in letzter Verzweiflung überfällt. Den israelisch-palästinensischen Konflikt zeigt er als Reihe absurder Verrichtungen, gegen die ein Protest nur noch als Fantasie möglich ist. Auf dem Festival in Cannes bekam er den Preis der Jury. Als Oscar-Nominierung wurde er angeblich nicht angenommen, weil Palästina kein von der UNO anerkanntes Land sei – als habe sich Hollywood je an solche Kriterien gehalten.

Die bizarren Befreiungsfantasien, die Suleiman seiner Hauptfigur zugesteht, würde man den jungen Mädchen aus Mai Masris Film „Frontiers of Dreams and Fears“ nicht unbedingt zutrauen. Die Dokumentarfilmerin, Tochter eines in die USA emigrierten Palästinensers, porträtiert Mona, die in einem Flüchtlingslager im Libanon aufwächst, und Manar, die unter ähnlichen Umständen in der Nähe von Bethlehem lebt. Sie sind Flüchtlinge in dritter Generation. Masri lässt sie vor der Kamera über ihre Nöte sprechen, über den Schmerz, keine Heimat und keine Zukunftsperspektive zu haben. Fast unfreiwillig zeigt sie, wie sehr die Umgebung die Mädchen auf die Flüchtlingsidentität festlegt, geradezu darauf konditioniert, weiter um die vor fünfzig Jahren verlassenen Häuser der Großväter zu trauern und in Israel nichts anderes als den Feind zu sehen. Wie überhaupt Israelis in Masris Filmen nur als übellaunige Soldaten auftauchen. Sie sind eine anonyme Macht, von der nur in Pronominalfrom gesprochen wird: „Sie haben Bäume gepflanzt, um das Ausmaß ihrer Zerstörung zu verschleiern.“

Ganz ähnlich ist das auch in „Terra Incognita“, einem Film des libanesischen Regisseurs Ghassan Salhab, der in Beirut spielt. „Sie fliegen wieder Angriffe im Süden“, teilt jemand mit. Der Krieg ist zwar vorbei, die Stadt, in ihrer Geschichte schon siebenmal zerstört, wurde zum großen Teil wiederaufgebaut, aber ein normales Leben will sich nicht einstellen. Soraya verdient sich ihren Lebensunterhalt, indem sie Touristen zu den jahrtausendealten Kulturstätten des Landes führt. Sie will auswandern. Nachts lässt sie sich mit immer neuen Männern ein, die sie am Tag danach nicht mehr kennen will. Ihr Exfreund Tariq ist soeben aus der Emigration zurückgekommen. Wo er auch hingeht, fragt man ihn: Warum bloß bist du zurückgekehrt? Sie treffen sich mit Freunden, fahren im Auto durch die Stadt, joggen vor der Arbeit – doch ihre Gespräche sind schwerfällig, und über allen ihren Handlungen liegt etwas Bleiernes. Was der Krieg zerstört hat, lässt sich in den Landschaften der Seele nicht in Fertigbauweise wiedererrichten.

Der posttraumatische Zustand, in dem sich die Menschen durch Beirut bewegen, mag kein neues Thema sein. Was an „Terra Incognita“ erstaunt, ist der Bruch mit – unseren – Sehgewohnheiten: dass arabische Frauen unverschleiert in Bars sitzen, rauchen und selbstbestimmten Sex haben, hält man inzwischen für unwahrscheinlich, so sehr ist es Allgemeingut geworden, die arabische Kultur mit dem fundamentalistischen Erscheinungsbild in eins zu setzen.

Filmprogamm ab heute, 20 Uhr, im Haus der Kulturen der Welt