Unter fremden Fittichen

Rund 13.000 Schüler aus Deutschland gehen jedes Jahr ins Ausland. Die meisten brauchen einige Monate, bis sie sich eingelebt haben. Auch deshalb sollte ein Austausch gut vorbereitet sein

von TILMAN VON ROHDEN

Für jugendliche Schülerinnen und Schüler sind mehrmonatige Auslandaufenthalte inklusive Schulbesuch oft der Härtefall: Binnen Stunden in eine fremde Lebenskultur versetzt, ohne die Unterstützung von Freunden und Eltern steht ihnen eine schwierige, wenn auch erfahrungsreiche Zeit bevor. „Die meisten Schüler brauchen rund drei Monate, bis sie sich in die neue Umgebung eingelebt haben. Mädchen bewältigen diese Anpassung deutlich besser als Jungen“, sagt Barbara Engler vom Stuttgarter Verein Aktion Bildungsinformation (ABI), der sich um die Vermittlung und Beratung von Schülern kümmert, die mehrere Monate ins Ausland gehen, um Schulen, Land und Leute kennen zu lernen.

Die mit großem Abstand meisten der rund 13.000 Schüler, die jedes Jahr an einem Austausch teilnehmen, gehen in die USA. Die vergleichsweise geringen Sprachbarrieren und der Traum von den unendlichen Möglichkeiten sprechen für dieses Land. Hinzu kommt, dass die USA umfangreiche nichtkommerzielle Austauschprogramme aufgelegt haben.

Allerdings gilt die große Freiheit kaum für Austauschschüler, denn unter der Fuchtel des US-Programms haben sie kaum einen Einfluss darauf, an welchem Ort beziehungsweise in welchem Bundesstaat sie untergebracht werden. Zwar darf man Wünsche äußern, Kalifornien ist der mit Abstand beliebteste Bundesstaat, diese können aber oft nicht erfüllt werden.

Dies gilt auch innerhalb der Gastfamilien, die nicht selten ein strenges Regiment führen. Wann man wo und mit wem ist, was man macht und wann man ins Heim zurückkehrt, all das muss in der Regel mitgeteilt werden. Selbst ungewohnte oder verquere Familiengewohnheiten müssen im Zweifel vom Austauschschüler mitgetragen werden.

Kleinere Vergehen – etwa erste sexuelle Erfahrungen, Gespräche über Probleme in der Gastfamilie mit Dritten, der Kauf von Alkohol oder Tabak oder die Verletzung von Schulregeln – können im US-Programm zu einer vorgezogenen und erzwungenen Heimkehr führen.

Der Grundsatz, dass Aufenthaltsort und Gastfamilie für jeden Austauschachüler vorab ausgewählt werden, führt dazu, dass es in den USA häufiger als in anderen Ländern zu Familienwechseln und Reiseabbrüchen kommt. „Ein Schul- oder Familienwechsel erfordert ein hohes Maß an Eigeninitiative, obwohl Betreuer vor Ort zur Seite stehen“, sagt Dieter Richter, Inhaber des Berliner Reisebüros Talk & Travel, das sich auf Schuljahre im Ausland spezialisiert hat. Bei USA-Aufenthalten tritt sein Reisebüro nur als Vermittler auf, denn an den nichtkommerziellen US-Organisationen führt kein Weg vorbei.

In anderen Ländern gibt es dagegen die Möglichkeit, auf echte Wahlprogramme zuzugreifen. Aufenthaltsort, Schule, und Familie können frei gewählt werden. „In diesen kommerziellen Programmen sind die Regeln längst nicht so strikt“, sagt Reiseveranstalter Richter. Auch Engler vom Verein ABI hält Wahlprogramme für die „bessere Alternative“. Der Nachteil: Sie sind deutlich teurer. Während ein mehrmonatiger Aufenthalt in den USA mit rund 5.000 bis 6.000 Euro zu Buche schlägt, kostet beispielsweise Neuseeland circa 12.000 Euro ohne Flug, England rund 10.000 Euro und Kanada fast 13.000 Euro (alle Preise von Talk & Travel). „Unsere Klientel“, sagt Richter, „rekrutiert sich deshalb aus der gut betuchten Mittelschicht, darunter viele freie Berufe wie Ärzte- und Anwaltsfamilien. Die Länge des Aufenthaltes spielt bei den Preisen nicht die Hauptrolle, denn Flugkosten, Zahlungen an die ausländischen Partnerorganisationen und Versicherungen fallen so oder so an.

Daneben gibt es die Möglichkeit, einen Austausch selbst zu organisieren. Wer das auf Gegenseitigkeit schafft, dürfte am preiswertesten wegkommen. Doch manche Länder lehnen die Selbstorganisation aus versicherungstechnischen Gründen ab. Sie verlangen eine Vermittlungsagentur oder einen Reiseanbieter, von denen es in Deutschland rund 50 gibt.

Eine Versicherung gegen vorzeitigen Abbruch gibt es nicht, ein deutscher Versicherungskonzern soll eine solche Police derzeit vorbereiten. Umso wichtiger ist deshalb die intensive Vorbereitung der Reise. Talk and Travel veranstaltet Infoabende, macht die Gruppenmitglieder untereinander bekannt und lädt ehemalige Austauschschüler ein, über ihre Erfahrungen zu berichten. Dabei stellt sich oft heraus, dass die Eltern die treibende Kraft sind. „Das ist problematisch, denn ein Auslandsaufenthalt verlangt von den Jugendlichen Motivation und Selbstständigkeit. Es wäre ein Fehler, einen mehrmonatigen Aufenthalt unter voller Integration in eine fremde Lebenskultur mit einer Urlaubsreise zu verwechseln“, sagt Stefan Pfau von der Internetplattform Ausgetauscht, die viele Informationen bereithält.