Kampf gegen die Vierzig

Am Samstag begann die heiße Phase der Tarifauseinandersetzungen in der Metallindustrie. Ab Dienstag drohen landesweite Streiks

Von derzeit 308.000 Beschäftigten könnten mehr als 48.000 durch die Mehrarbeit ihre Stelle verlieren

VON MANFRED WIECZOREK

Nach Recklinghausen, die Stadt der Ruhrfestspiele, hatte die IG Metall (IGM) zur Auftaktveranstaltung der heißen Phase in der Tarifauseinandersetzung der Metall- und Elektroindustrie eingeladen. Über 1.000 Betriebsräte füllten am Samstag das Festspielhaus.

“Achtung Arbeitsplatzabbau“ – darunter steht eine Art Verkehrsschild, das einen ausrutschenden Arbeiter zeigt. „Mehrarbeit ohne Lohnausgleich bedeutet bis zu 20 Prozent weniger Geld.“ Bevor Peter Gasse, IGM Bezirksleiter in Nordrhein-Westfalen (NRW), ans Mikro trat, flimmerten zur Einstimmung Informationen der Gewerkschaft über eine Großleinwand. „Dies ist der Kampf gegen die 40 und für die 4“, begann Gasse seine Rede. Vier Prozent mehr fordert die IGM. Die Arbeitgeber wollen die Löhne in den nächsten 15 Monaten nur um 1,2 Prozent wachsen sehen und für weitere 12 Monate noch einmal 1,2 Prozent drauf legen. Aber nur unter einer Voraussetzung: die Rückkehr zur 40- Stunden-Woche. Je nach wirtschaftlicher Lage des Betriebs mit oder ohne Lohnausgleich. Erst müsse die IGM der Ausweitung der Wochenarbeitszeit zustimmen, dann könne über höhere Löhne gesprochen werden. So lautete die Position der Arbeitgeber in den bisherigen Verhandlungsrunden.

In bisher 1.046 Betrieben in ganz NRW haben Betriebsräte die Folgen der Verlängerung der Arbeitszeit ermittelt. Das Ergebnis: Von den derzeit rund 308.000 Beschäftigten könnten rechnerisch mehr als 48.000 durch die Mehrarbeit ihre Stelle verlieren. Peter Gasse bezeichnete das Arbeitgeberangebot als ein gigantisches Programm zur Arbeitsplatzvernichtung und erteilte einem „Job-Killer-Abschluss“ eine Absage. Er berichtete von einer Verlosung, die in einigen Betrieben läuft: “Da gibt es Lutscher oder Kugelschreiber zu gewinnen.“ Das könne sich die IGM gerade noch leisten. „Aber etwa jedes achte Los ist eine Niete und darauf steht: Ihre Arbeit macht jetzt jemand, der bleiben durfte. Das ist Ihr Beitrag zur Arbeitsplatzsicherung.“

Nach Ansicht des Ersten Vorsitzenden der IGM, Jürgen Peters, haben die Arbeitgeber bisher unbestrittene Maßstäbe der Tarifpolitik aufgegeben. „Nicht die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die Produktivität und die Preisentwicklung sollen der Maßstab sein, sondern der Neoliberalismus pur“ sagte er in Recklinghausen. Den verteilungsneutralen Spielraum bezifferte Peters auf etwa 3,5 Prozent. Doch zur eigentlichen Gretchenfrage hätten die Arbeitgeber die Arbeitszeit gemacht. „Unter dem Deckmantel der Arbeitszeitflexibilisierung wollen sie die flächendeckende Rückkehr zur 40- Stundenwoche“, so Peters. Dabei seien die Arbeitszeitregelungen bis 2006 festgeschrieben, und auch danach wolle sich die IGM die 35-Stunden-Woche nicht nehmen lassen. „Millionen sind immer noch stärker als Millionäre“, machte der IGM-Vorsitzende den Betriebsräten Mut.

Doch auch die Unternehmerseite lässt die Muskeln spielen. Fast jeder dritte Betrieb denke darüber nach, Teile der Produktion ins Ausland zu verlagern, heißt es in einer „Düsseldorfer Erklärung“ des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.

Heute gehen die Tarifverhandlungen in Gelsenkirchen in die dritte Runde. Begleitet werden sie von Warnstreiks in Bocholt, Köln und Lohmar. Die IGM will die Warnstreiks auf ganz NRW ausdehnen, wenn die Verhandlungen keinen deutlichen Fortschritt bringen.