Fünf Männer ohne Haltung

Kokain zerstört die groß angekündigte Podiumsdiskussion zwischen Matthias Hartmann und Frank Castorf. Tom Stromberg aus Hamburg gab sich Mühe, Castorf zu ersetzen. Aber wer kann das schon

VON PETER ORTMANN

Wichtige Menschen in Italien treffen; Kinder, die krank sind; eine verschobene Premiere – es gibt viele Gründe, eine Podiumsdiskussion über das Theater abzusagen. Kommen alle Entschuldigungen auf einmal, dann wirkt das mindestens merkwürdig. Barbara Mundel, Indendantin in Luzern, Frank Castorf, Intendant der Volksbühne in Berlin und zukünftiger Leiter der Ruhrfestspiele und Jürgen Flimm, der zukünftige Chef der RuhrTriennale, sollten gestern zusammen mit Hausherr Matthias Hartmann in den Bochumer Kammerspielen ein hochkarätig besetztes Podium bilden, dass sich im Rahmen des Theaterwettbewerbs Impulse öffentlich Gedanken über das Theater machen sollte.

Alle drei ließen sich entschuldigen. Flimm sei in Sachen Triennale in Italien, „Castorf hat erst um 4:00 Uhr morgens abgesagt, er sei krank“, schmunzelte Moderator Dietmar N. Schmidt, zum letzten Mal Leiter der Impulse, und präsentierte als Ersatz (“den habe ich erst heute morgen um 6:00 Uhr angerufen“) Tom Stromberg, Indendant vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. „Gut, dass ich eine Woche Zeit hatte, mich vorzubereiten“. Damit steigt Stromberg in die Diskussion ein. Schmidt schmunzelt nicht mehr. Viele Ungereimtheiten folgten in einem Disput, der keiner war, nur Belanglosigkeiten, Statements, platte Sprüche. Das übliche Gejammer von Klaus Zehelein, dem Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins.

Die ersten Castorf-Fans verließen nach 15 Minuten den vollbesetzten Saal. Zwei Theaterideologien sollten aufeinander prallen, Castorfs kontroverses Agitprop- und Hartmanns seichtes Konsalik-Theater, beide haben enormen Publikumserfolg.

Den hatte die Diskussion nicht: Es herrscht Langeweile. Indendant Thomas Bockelmann aus Münster, Ersatz für Mundel, mäkelt noch ein bischen an den Finanzierungsmodalitäten der RuhrTriennale herum und hält das Theater für einen kommunikativen Ort: „Die Menschen reden in den Pausen immer über das Stück“. Tom Stromberg sieht das alte Europa in 10 Jahren als letzten planetaren Museumshort für Kunst und Kultur: „Da, sieh mal eine Oper, werden die japanischen Touristen dann sagen“ und Matthias Hartmann erklärt, warum kein politische Theater mehr notwendig ist: „Früher gab es noch richtige Feindbilder wie..., nun, da war noch...,“ stottert er und will ab sofort nur noch archaische Themen bearbeiten, „wo der Vater umgebracht und die Mutter gevögelt wird“. Wenn die Gesellschaft diese Arbeit einmal nicht mehr bezahlen wolle, dann werde das Theater dennoch weiterbestehen. In den hinteren Reihen beginnt das Gähnen. Auch Hartmann wirkt abwesend, notiert etwas auf einem Zettel. „Der malt hier Herzchen“, ruft Stromberg und fängt sich einen bösen Blick vom Hausherrn ein. Die Zukunft des Theaters ist also gesichert.

„Frank hätte alle schon gerne aufgemischt“, sagt Carl Hegemann, Castorfs Chefdramaturg am Sonntagnachmittag in Zug nach Bochum. Aber er mußte seine Premiere von „Kokain“ verschieben und umbesetzen. Danach sei er sehr erschöpft gewesen und hätte keine Lust mehr gehabt.