Fußpflege unter der Grasnarbe
: Ilhan gefunden

Es ist immer schön, wenn man nach langer Zeit von alten Freunden hört. Vor ein paar Wochen hatte ich mich an dieser Stelle auf die Suche nach meinem Fußballfreund Ilhan gemacht. Wir waren gemeinsam als Sechsjährige Kreismeister geworden, hatten fast zwölf Jahre miteinander in einer Mannschaft gespielt und uns schließlich aus den Augen verloren. Auch wenn er fast nie den Ball abspielte, da er für jedes Tor von seinem Vater fünf Mark bekam, und ich schließlich derjenige war, der als „Der neben dem Türken rennt“ in die Vereinsgeschichte einging, wollte ich dennoch wissen, was aus dem Torjäger von damals geworden war.

Dienstag vor einer Woche. In Gedanken versunken druckte ich gerade mit meiner Kaffeetasse die olympischen Ringe auf die Schreibtischunterlage, da klingelte das Telefon. „Hier ist Illi, wie geht‘s, Alter?“ Natürlich erkannte ich ihn sofort. Obwohl die Überschrift der Kolumne („Findet Ilhan“) eindeutig gewesen war, hatte ich nicht damit gerechnet, dass er sich melden würde. Seine Namensvetter, auf die ich über eine der Suchmaschinen im Internet gestoßen war, hatten einiges über seine letzten Jahre vermuten lassen. So viel war nun klar: Der in Ankara inhaftierte Terrorist musste ein anderer Ilhan Turhan sein. Illi erzählte mir, dass er vor vier Monaten geheiratet hat und in einigen Monaten Vater wird. Er versicherte mir auch, dass er nicht der Ilhan Turhan ist, der als Gerichtsmediziner im Akademischen Institut für forensische Wissenschaften in Istanbul arbeitet.

Mein Ilhan ist heute stellvertretender Leiter einer Firma in Schenefeld, wo er Material für Dachdecker an Dachdecker verkauft. Und Torjäger in der türkischen Superliga ist auch ein anderer mit seinem Namen geworden. Stattdessen überlegt Illi, ob er bei Rot-Weiß Kiebitzreihe in der Kreisklasse Pinneberg mitmacht. Höherklassig ginge nicht mehr, „wegen muskulärer Dysbalancen“, wie er fachmännisch erklärt. Außerdem habe er voll die Plauze bekommen.

Der einst spindeldürre Ilhan hat jetzt einen zufriedenen Bauch, dachte ich. Während er weiter erzählte, malte ich mir aus, wie er – es würde sicher ein Junge werden – als stolzer Vater am Spielfeldrand stehen und seinen Sohn mit eindeutigen Versprechungen zum eigensinnigen Toreschießen ermutigen wird: „Nicht abgeben, mach alleine, kriegst fünf Euro!“ Und der Kleine wird, wenn er denn nur halb so viele Tore schießt wie sein Vater, seinen Papa arm und reich zugleich machen. Ganz sicher werde ich ihm erzählen, was für ein klasse Kicker sein Papi gewesen ist, und dass sich jeder Verteidiger vor ihm gefürchtet hat. Ich werde ihm aber auch sagen, dass er ab und zu mal abspielen muss, da ich weiß, wie seine Mitspieler sich fühlen. Und dann werden Ilhan und ich unsere Bäuche vergleichen und sagen: „Mann, das waren Zeiten.“ Es ist schön, wenn man nach Jahren alte Freunde trifft.