Körperdiskurse

Manche Utopien sind konkreter als andere: So lautet das Zwischenergebnis auf dem Transmediale-Festival

Man kann sich wie in einer Zeitmaschine fühlen, wenn man einen Blick in das Programm der diesjährigen Transmediale, dem Festival für Medienkunst, wirft. So weit geht die Reise zwar gar nicht zurück, und dennoch landet man far far away: in den mittleren 90er-Jahren, als elektronische Musik und artverwandte Kunstformen noch ein echtes Versprechen beinhalteten. Die Geschlechtergrenzen sollten aufgelöst werden, Ähnliches war mit dem Kapitalismus und dem Nationalstaat geplant – Austragungsort dieser sozialen Utopien war der eigene Körper. Diskutiert wurde all das auf sehr populären Veranstaltungen, die Party und Diskurs zusammenführten – intellektuelle Pendants zu den folkoristisch-lagerfeuerromantischen Treffen der Globalisierungsgegner.

Mittlerweile fühlt sich die Welt, zumindest außerhalb des Körpers, deutlich schlechter an. Dementsprechend werden diese Ziele auf der diesjährigen Transmediale nicht als Zukunftsvision, sondern als Utopie formuliert. Fly Utopia!, lautet das Motto des Festivals, das zumindest damit voll den Zeitgeist trifft. Schließlich stirbt die Hoffnung zuletzt.

Doch egal ob retro oder ganz vorne dabei – auf der Eröffnungsfeier des Festivals am Freitag waren solche Überlegungen überflüssig. Da war einfach alles wie immer. Im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt befindet sich der so genannte workspace. Dort soll nicht nur präsentiert, sondern auch partizipiert werden. Tatsächlich spielten viele Menschen an den Laptops herum, manche checken allerdings nur ihre E-Mails. Ein paar schlenderten sogar durch die Ausstellung, obwohl man für die vielen Bildschirme mehr Muße braucht, als der Abend bietet. Einige Exponate – etwa der „Kidney Supermarket“ – sind allerdings so plakativ, dass man auch beim flüchtigen Hingucken ahnt, was kommuniziert werden soll. Die meisten Besucher standen aber herum und prosteten ihren auch herumstehenden Freunden mit Freigetränken zu.

Am Samstagabend dann redete Antonio Negri, Liebling der Diskurslinken, über Utopien. Er prognostizierte, dass sie immer konkretere Formen annehmen werden. Ob dem so ist, werden Panels mit Arbeitstiteln wie „social fictions“, „mobilotopia“ oder „open bodies“, „mobile bodies“ in den nächsten Tagen zeigen.

In der Maria am Ufer findet derweil allabendlich die Party zum Festival statt. Hier scheinen die Besucher das echte Heilversprechen dieser Transmediale zu verorten, lange Zuschauerschlangen weisen einem den Weg. Und der Besuch lohnt sich ja auch. Drinnen gibt’s die hinreißende Kevin Blechdom, die später mit dem noch hinreißenderen Jamie Lidell duettiert, die trotz Laptop-Masturbation einigermaßen rockenden Dat Politics und Chicks on Speed. Videokunst ist hier, unter anderem, ganz ansehnlich in die Getränkekarte integriert. Und von Utopien wird auch nicht mehr geredet – höchstens von den ganz konkreten. STEPHANIE GRIMM

Das Festival läuft bis zum 4. 2. (www.transmediale.de), der Club Transmediale bis zum 7. 2., allabendlich in der Maria (www.clubtransmediale.de). Die Transmediale im Radio gibt’s bei reboot fm auf 104.1