„Spontane Zusammenschlüsse sind delikat“

Noch führen generationenübergreifende Wohnprojekte ein Nischendasein. Das wird sich in Zukunft ändern, glaubtder Berliner Soziologe Hartmut Häußermann. Die Alten von morgen wollen nämlich nicht mehr in Seniorenheime

taz: Wie weit verbreitet sind generationenübergreifende Wohnprojekte in Deutschland?

Hartmut Häußermann: Das ist schwer zu sagen, weil genaue Zahlen fehlen. Man muss da auch zwischen verschiedenen Modellen unterscheiden: Es gibt Wohngemeinschaften mit mehreren Generationen. Es gibt Junge und Alte, die im selben Haus, aber in getrennten Wohnungen leben. Und es gibt das so genannte Mitwohnen, wo Senioren und junge Leute einen Vertrag miteinander abschließen. Insgesamt handelt es sich aber um ein Randphänomen. Das ist auch der Grund dafür, dass sich die Forschung bisher wenig mit diesem Thema befasst hat.

Wo sind diese Wohnformen am häufigsten anzutreffen: in der Stadt oder auf dem Land?

Das ist eine typisch städtische Erscheinung. Auf dem Land ist man konservativer, da wird in diesem Bereich wenig experimentiert. Es ist ja auch so, dass ältere Menschen in ländlichen Gebieten meist noch in intakte Familiensysteme eingebunden sind. Das Problem der Einsamkeit im Alter ist dort einfach nicht so akut wie in der Stadt.

Sind die bestehenden Projekte in der Mehrzahl privat organisiert, oder laufen sie unter der Regie öffentlicher Träger?

Da fehlt mir der genaue Überblick. Ich vermute aber stark, dass der Großteil davon „inszeniert“ ist. Das ist auch sinnvoll, denn spontane Zusammenschlüsse sind eine relativ delikate Geschichte, die funktionieren meistens nicht so gut. Diese Form des Zusammenlebens braucht ein bisschen Betreuung und feste Regeln.

Ohne die geht es nicht?

Nein. Solche Generationen-WGs scheitern ja häufig an den völlig unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen der Beteiligten. Die alten Leute haben oftmals zu hohe Ansprüche an ihre jungen Mitbewohner und sind dann enttäuscht, wenn sich diese nicht erfüllen. Es ist ja aus der Altenforschung bekannt, dass sich im Alter bestimmte Persönlichkeitsmerkmale verstärken. Diese beiden Lebenswelten muss man zusammenbringen. Ohne vertragliche Vereinbarungen ist das schwer.

Welche der Wohnformen, die Sie genannt haben, funktioniert denn am besten?

Das sind solche Modelle, wo alte und junge Menschen zwar im selben Haus, aber in getrennten Bereichen leben. Da hat jeder seine Privatsphäre, und die Älteren fühlen sich nicht infantilisiert.

Wird diese Art des Zusammenlebens von Jung und Alt in Zukunft an Bedeutung gewinnen?

Ganz sicher. Die Menschen werden immer älter – da liegt es nahe, dass neue Wohnmodelle gefunden werden müssen. Und diese generationenübergreifenden Modelle sind fortschrittlich, wenn man bedenkt, welche Lebensformen unsere Gesellschaft gegenwärtig für alte Menschen zu bieten hat. Die werden ja häufig abgewertet und an den Rand gedrängt. Die Senioren von morgen dagegen sind selbstbewusst und wollen nicht in Heimen wohnen.

Was macht sie so optimistisch?

Jetzt kommt die erste Generation von Studenten mit WG-Erfahrung ins Rentenalter. Diese Leute haben die Gesellschaft ja gerade in Bezug auf alternative Lebensformen stark verändert. Das wird sich auch im Alter auswirken. Ich vermute, dass sie experimentierfreudiger sind als die heutigen Alten.

Ist Deutschland denn auf diese Experimente vorbereitet?

Das Problem ist, es gibt zu wenig WG-geeignete Wohnungen. Die Industrie hat beim Neubau vor allem Kleinfamilien im Blick. Da gibt es noch großen Nachholbedarf. INTERVIEW: TORBEN TRUPKE