Plauderstündchen

Oh ja, die Talkshow hat Zukunft. Mehr kam bei einer Tagung des NDR allerdings nicht heraus. Statt kritischer Fragen gab es Schulterklopfen

VON JAN FEDDERSEN

Vor 25 Jahren ist die „NDR Talkshow“ erstmals ausgestrahlt worden, seither stets freitags, mittlerweile im Wechsel mit „3 nach 9“ und „Herman & Tietjen“ zu sehen. Mittlerweile sind solche Plauderrunden nicht mehr spektakulär, nicht mehr einzig, wie es jene von Dietmar Schönherr moderierte Sendung „Je später der Abend …“ war, die 1973 gestartet wurde.

Damals verzweifelten Medienkritiker an diesem Fernsehformat: Ein Moderator befragt Gäste zu diesem und jenem – ohne dass irgendeine Pädagogik, irgendein Programmauftrag dahinter erkennbar wäre. Aufklärung, wenn überhaupt, nur zufälligerweise: Konnte das gut gehen? Könnte das Zuschauer interessieren? Oder würden die abschalten, weil zu viel, vor allem zu viel um nichts geredet wird?

Mittlerweile weiß jeder Medienkritiker: Das ging und geht sehr gut. Was nicht an der Fülle von Skandälchen liegt, die mit Hilfe dieser Shows geboren wurden, sei es die Onanierhilfe von Nina Hagen oder Romy Schneiders Angraben von Edelsträfling Burkhard Driest. Zuschauer mögen es, in elektronischen Illustrierten zu blättern, zwanglos zuzuhören, ohne je das Gefühl haben zu müssen, etwas zu verpassen, wenn sie mal zehn Minuten innerlich abschalten.

Aber hat das alles Zukunft? Das wollte der NDR wissen und hatte das Who’s who der Plauderszene eingeladen, Kerner und Maischberger, Pilawa und Tietjen, Herman und die Steinbauer, Wolf Schneider und natürlich auch Sabine Christiansen.

Kurz zusammengefasst: Man weiß nicht, wie die Zukunft der großen Rederei bestellt sein wird, aber dass es sie gibt, stand außer Frage. Es fehlten, bedauerlicherweise, jene Menschen, die es anders als die anderen machen – und deshalb das Genre auszureizen versuchen. Götz Alsmann und Christine Westermann mit ihrem „Zimmer frei“ oder vor allem Friedrich Küppersbusch, Zukunftsforscher in der taz, Inspirator der Maischberger auf n-tv und inzwischen Produzent in spe einer Boris-Becker-Talkshow im Deutschen Sportfernsehen. Der Mann hätte vielleicht die Szenerie ein wenig ärgern können. Etwa mit Fragen an Sabine Christiansen, ob der Erfolg ihrer Plauderstunde – der erfolgreichsten Polittalkshow überhaupt – auch damit zu tun hat, dass ihre gesamte Rhetorik auf beim konservativen Publikum beliebten Alarmismus beruht. Oder mit Fragen an Kerner, ob seine selbst erklärte Tugend, nur gerne zuzuhören, die Zukunft skizziert – im Sinne von: Wir haben die tollsten Gäste – und es reicht, dass sie da sind, kritisches Fragen unerwünscht.

Man klopfte sich lieber gegenseitig auf die Schulter, ließ Christiansen („Meine Sendung ist kein Bundestag“) eine erfolgreiche Frau sein und Kerner („Ich höre gerne zu“) einen Quotenmann.

Einer wenigstens hatte klug beobachtet, und das war Horst Stipp, Medienwissenschaftler in Diensten des US-Senders NBC. Mit Blick auf sein Land sagte er, dass dort – deutlich erkennbar seit Beginn der Tage George W. Bushs – im Abendprogramm mehr und mehr Interesse an meinungslastigen, konfrontativen Talkshows bestehe. Die reine Information zähle nicht mehr, die hätten sich die Zuschauer schon vor den Abendnachrichten besorgt. Und diese Meinungslast sei vor allem konservativ grundiert, was dem Gusto des TV-Publikum am Abend entgegenkomme. Steht uns das auch bevor – Andreas Bönte und Sigmund Gottlieb im Konfrotalk mit linksliberalen Verantwortungs- und Bedenkenträgern? Offene Fragen, die neuer Foren bedürfen. Kerner würde auf jeden Fall wiederkommen.