Der Souverän

Der Schweizer Roger Federer gewinnt das Finale der Australian Open gegen Marat Safin und gilt den Fachleuten als Mann für den Grand Slam

AUS MELBOURNE DORIS HENKEL

Letztes Jahr hat Roger Federer ein Eau de Cologne auf den Markt gebracht, abgefüllt in schlichten, silberfarbenen Flaschen. Kein einfaches Geschäft, auf diesem Sektor ist die Konkurrenz groß. Auf den Duft des Tennis und dessen betörende Wirkung hat er hingegen ein Patent. Scheinbar mühelos gewann der berühmteste aller Schweizer Sonntag in Melbourne seinen ersten Titel bei den Australian Open mit einem klaren Sieg gegen den sichtlich erschöpften Russen Marat Safin (7:6, 6:4, 6:2). Es war nach Wimbledon im vergangenen Jahr Federers zweiter Titel bei einem Grand-Slam-Turnier. Federer war also der letzte große Sieger des Jahres 2003, er ist der erste 2004, und die alte Erkenntnis ist die neue: Wenn alles klappt in seinem Spiel gibt es keinen Besseren als ihn. Ob mit Coach oder ohne, mittags oder Mitternacht, bei Wind oder Sonne.

Vor zwei Monaten in Houston schwärmte der besiegte Andre Agassi nach dem Finale, Federers Spiel sei für ihn eine Inspiration. Diesmal sagte Safin: „Er ist ein großer Spieler, er ist die Nummer eins.“ Die Welt des Tennis ist sich einig in dieser Meinung, und vielleicht wird das größte Problem für Federer irgendwann darin bestehen, im warmen Regen all der Lobesarien nicht unterzugehen.

Die überlegene Art, wie Federer beim Masters Cup ohne eine einzige Niederlage den Titel gewann, wie er in Melbourne selbst knochenharte Aufgaben in den Spiele gegen Hewitt und Nalbandian wie eine Selbstverständlichkeit aussehen ließ, lassen viele glauben, er sei der Mann für den Grand Slam. Den hat bei den Männern seit Rod Laver 1969 keiner mehr geschafft, weder Borg noch Lendl, weder Sampras noch Agassi. Der graue Weise des Tennis, John McEnroe, sagt: „Wenn es einer schaffen kann, dann er. Roger hat die Fähigkeit, auf jedem Boden und gegen jeden Gegner zu gewinnen.“ Der Gepriesene selbst sieht die Angelegenheit etwas zurückhaltender. Er habe keine Ahnung, was dazu nötig sei, seiner Meinung nach kämen aber nicht allzu viele Anwärter in Frage. „Auf jeden Fall ist die Sache aber so, dass ich in diesem Jahr der Einzige bin, der die Chance dazu hat, und das ist keine schlechte Situation.“

Zum Sieg in Melbourne reichte eine konzentrierte Leistung, Spielklasse 2, denn Marat Safin fehlte die Kraft, mehr als nur in manchen Ballwechseln ein gleichwertiger Gegner zu sein. Fast 19 Stunden in den sechs Begegnungen zuvor, davon drei Fünfsatzspiele und zum Schluss zwei in Folge gegen Andy Roddick und Andre Agassi, waren zu viel. Safin hielt sich zwar wacker im ersten Satz, aber mehr und mehr ließ ihn der erste Aufschlag im Stich, und man spürte, dass der zweite auf die Dauer nicht genügen würde. Nachdem er den von beiden Seiten nervös gespielten Tiebreak verloren hatte, ging es sichtlich abwärts mit ihm. Er fluchte und flehte – und kehrte auch zu seiner alten Gewohnheit zurück und demolierte zwei Schläger mit den Restbeständen seiner Kraft, aber es nützte nichts mehr. Federer spürte genau, was sich auf der anderen Seite des Netzes tat, und mit der Klasse eines Souveräns regierte er sein Reich. Nach zwei Stunden und 15 Minuten landete Safins letzter Ball knapp hinter der Linie, und das Spiel endete auf die gleiche Art, wie es begonnen hatte: mit einem Klaps Safins auf Federers Schulter.

Der wurde später noch gefragt, welche Art von Empfang er in der Heimat nun erwarten könne, und antwortete: „Ich habe keine Ahnung.“ Zum Schweizer des Jahres haben ihn seine Landsleute im letzten Jahr ja schon gewählt, und wenn er weiter so erfolgreich ist, gibt es auf der Skala nach oben hin nicht mehr viel. Das ist zum Glück anders, was seine Karriere als Spieler betrifft. Es gibt reichlich Titel, die er noch gewinnen kann. Und jeder hat einen anderen Duft.