Rumsfeld: Verweigert euch!

Mit gezielter Kommunikation will der Pentagon-Chef irakischen Soldaten zeigen, wie sie „ehrenhaft handeln und ihre Waffen niederlegen können“

Wenn das Ende des Regimes bevorsteht, geben Iraks Soldaten auf, hofft Rumsfeld

von ERIC CHAUVISTRÉ

„Staaten können den Effekt ihrer militärischen Möglichkeiten vervielfachen, wenn sie direkt mit ihren Zielen kommunizieren.“ Die „Joint Pub 3-53“ scheint in diesen Tagen ganz oben auf den Schreibtischen der Pentagon-Führung zu liegen. Die „Doctrine for Joint Psychological Operations“ aus dem Jahr 1996 beschreibt im Detail, wie US-Planer Gegner wie Alliierte psychologisch einschüchtern oder beeindrucken können.

Als US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld am Donnerstagabend seine erste Pressekonferenz nach dem offiziellen Beginn des Kriegs gab, sagte er ungefragt, es gebe „Kommunikation in jeder denkbaren Art und Weise mit den irakischen Streitkräften – offen und im Stillen – wie sie ehrenhaft handeln und ihre Waffen niedelregen können“.

Donald Rumsfeld scheint damit anzudeuten, dass es auch direkten Kontakt selbst zu Befehlshabern der als loyal zum Regime Saddam Husseins bezeichneten Republikanischen Garde gibt –sei es per Funk, Telefon oder über im Irak agierende CIA-Agenten und Einhieten der Special Forces.

Die allgemeine Ansprache über Flugblätter, auf denen irakische Truppen in Text und Bild angesprochen werden, ist seit Monaten bekannt. Die Konzentration auf einzelne Offiziere hätte aber eine neue Qualität. Rumsfeld scheint davon auszugehen, dass die Führungsschicht der irakischen Truppen zur Aufgabe bewegt werden kann. „Sobald sie davon überzeugt sind, dass das Regime Geschichte ist“, so der Pentagon-Chef, „wird sich ihr Verhalten ändern.“

Nach US-Angaben haben sich seit Kriegsbeginn 25 irakische Soldaten ergeben. Der arabische Sender al-Dschasira sendete Bilder, die zwei Iraker zeigen sollen, die sich mit weißer Fahne britischen Truppen stellen. Andere Berichte sprechen von 250 Irakern, die sich im Süden des Irak US-Truppen ergeben haben.

Gestern starteten erstmals B-52-Bomber von ihrem Stützpunkt im britischen Fairfield. Möglicherweise überflogen sie auf dem Weg zu Bombardements im Irak auch Deutschland. Allein schon die Berichte über den Einsatz der schweren Bomber, so nehmen US-Militäranalysten an, sollen den irakischen Truppen deutlich machen, dass das Regime in Bagdad kurz vor dem Ende ist – und sie so zum Desertieren bewegen.

Bislang melden die Korrespondenten, die in die vorrückenden Einheiten der US-amerikanischen und britischen Sreitkräfte integriert sind – und deren Berichte der Militärzensur unterliegen – keinen nennenswerten Widerstand von irakischen Truppen. Dabei schien das militärische Vorgehen der US-Streitkräfte gestern darauf konzentriert, sowohl im Norden als auch im Süden die Kontrolle über die irakischen Ölfelder zu sichern. Nachdem britische Truppen die Besetzung der Ölförderanlagen auf der Al-Faw-Halbinsel bekannt gaben, gab es offenbar Kämpfe rund um die Ölfelder der 70 Kilometer nördlich der kuwaitischen Grenze gelegenen Millionenstadt Basra. US-Militärs meldeten die Einnahme der Hafenstadt Umm Kasr. Auch im Umfeld der nördlichen Ölfelder des Irak gab es nach Berichten eines BBC-Reporters heftige Kämpfe nahe der Stadt Kirkuk und Luftangriffe auf einen Flughafen nahe der Stadt Mosul.

Das Pentagon befürchtet, dass irakische Einheiten, wie 1991 beim Rückzug aus Kuwait, auch diesmal die eigenen Ölquellen anzünden. Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon behauptete gestern, im Süden des Irak stünden schon 30 Ölquellen in Brand. Auf der Basis der verfügbaren Bilder lässt sich nicht eindeutig erkennen, wie groß das Ausmaß der Brände ist, und natürlich auch nicht, wer die Brände wie verursacht hat.

Ein Regime, das nichts mehr zu verlieren hat, so die berechtigte Befürchtung sowohl britischer als auch amerikanischer Militärs, würde wohl vor keinem Mittel mehr zurückschrecken. Während seiner Pressekonferenz am Donnerstagabend sprach Rumsfeld deshalb direkt zu den irakischen Truppen, um sie nicht nur vor dem Einsatz von chemischen oder biologischen Waffen zu warnen, sondern auch vor der Flutung ganzer Dörfer durch die Zerstörung von Staudämmen. Und: „Folgen Sie keinen Befehlen zur Zerstörung des Öls Ihres Landes!“ Solche Befehle, mahnte Rumsfeld die irakische Truppen, „seien der letzte verzweifelte Atemzug eines sterbenden Regimes“.