Massenrücktritt von Abgeordneten in Iran

Die reformorientierten Parlamentarier machen Ernst. Mit ihrem Schritt protestieren sie gegen den Ausschluss von Kandidaten für die Parlamentswahl durch den Wächterrat. Heute wollen sie eine Kundgebung in Teheran abhalten

BERLIN taz ■ Aus Protest gegen den Ausschluss von mehr als zweitausend Kandidaten für die Parlamentswahlen am 20. Februar haben gestern 109 Parlamentsabgeordnete bei Parlamentspräsident Mehrdi Karrubi ihren Rücktritt eingereicht.

Zunächst hatte der von Konservativen beherrschte Wächterrat, der gemäß der Verfassung für die Zulassung der Bewerber zuständig ist, 3.600 von 8.200 Bewerbern abgelehnt, dann jedoch unter dem Druck des Parlaments und den Vermittlungsbemühungen des Staatspräsidenten Mohammad Chatami 1.160 der abgelehnten Kandidaten wieder zugelassen. Zu den Ausgeschlossenen gehören auch 83 amtierende Abgeordnete.

Die Parlamentsabgeordneten, die nun ihren Rücktritt eingereicht haben, befinden sich seit 17 Tagen in Streik. Der Abgeordnete Mohsen Mirdamadi, Vorsitzender des Ausschusses für Sicherheit und Außenpolitik, der den Rücktritt der Abgeordneten bekannt gab, sagte, der Wächterrat wolle „den hässlichen Körper der Diktatur mit dem schönen Gewand der Demokratie bedecken“. Eine Wahl unter diesen Bedingungen sei „Verrat an den Rechten und Idealen des Staates“, sagte der Abgeordnete Radschab Ali Masruie. Sie sei „rechtswidrig und dem Volk nicht zumutbar“.

Parlamentspräsident Karrubi sagte, wenn sogar Abgeordnete, die viermal ins Parlament gewählt worden seien, zurückgewiesen würden, dann bedeute dies nichts anders als Diskreditierung des Parlaments, des Staates und nicht zuletzt der Wähler. Wenn zwölf Mitglieder eines Gremiums die erste Wahl träfen und aus ideologischen und politischen Gründen tausende von Kandidaten zurückwiesen, könne man nicht von freien Wahlen sprechen. „Wir sind in einer Sackgasse“, sagte er. Die einzige Hoffnung, aus der Krise herauszukommen, sei ein Machtwort des Revolutionsführers Ali Chamenei.

Indes forderte Innenminister Mossawi Lari in einem zweiten Schreiben an den Wächterrat, der Vertagung der Wahlen zuzustimmen. Man könne nicht im Namen des Gesetzes tausende von Bewerbern ausschließen, ohne ein Vergehen der Betreffenden nachweisen zu können. „Die Umfragen zeigen, dass das Volk die Lust an der Wahl allmählich verloren hat.“ Auch sämtliche Provinzgouverneure haben inzwischen erklärt, dass sie nicht in der Lage seien, die Wahlen durchzuführen. Sollten sie sich tatsächlich weigern, bliebe nur noch die Möglichkeit, dass der Wächterrat die Wahlen von Revolutionsgarden und der Armee durchführen lässt. Dies wäre aber ein sehr eklatanter Schritt.

Inzwischen wurde aus dem Kreis um die streikenden Abgeordneten bekannt, dass sie beim Innenministerium für den heutigen Montag die Durchführung einer Kundgebung im größten Sportstadium Teherans beantragt haben, um dem Volk ihre Entscheidung zu erläutern. Sollte der Antrag nicht genehmigt werden, wollen die Abgeordneten zum Platz der Freiheit marschieren und dort ihre Kundgebung abhalten. BAHMAN NIRUMAND