Kicken in Zeiten des Krieges

Bedingungslose Kapitulation: Vor ausverkauftem Haus lässt Werder 99 weiße Luftballons für den Frieden in die Luft steigen und verliert das Nordduell gegen Hannover 96 sang- und klanglos mit 1:2

taz ■ Die Gedenkminute dauerte allenfalls zwanzig Sekunden. „Der SV Werder Bremen bedauert, dass es zum Krieg im Irak gekommen ist und wünscht, dass dort so schnell wie möglich wieder Frieden herrschen möge“, hatte der sonst gerne hyperventilierende Stadionsprecher vor Beginn des Fußball-Bundesligaspiels der Bremer gegen Hannover 96 in getragenem Ton ausgeführt. Passend dazu durften die Kids, die immer Hand in Hand mit ihren Idolen aufs Spielfeld laufen, insgesamt 99 Nena-mäßig weiße Gas-Luftballons in den Himmel steigen lassen. An jedem war eine Karte mit der Aufschrift „Frieden“ befestigt. Und Werder-Vorstand Klaus-Dieter Fischer erklärte salbungsvoll: „Der Verein will mit der Aktion zum Ausdruck bringen, dass wir uns neben dem Fußballalltag auch über die weltpolitische Situation Gedanken machen.“

Doch so schnell die Gedenkminute verging, die Luftballons entschwanden und der „Alltag“ wieder im Vordergrund stand, so schnell war das alte Fußball-Elend wieder präsent: Bierselige Werder-Fans schwangen ihre Schals mit der Aufschrift „spielen, saufen, siegen“, aus dem Gäste-Block flog eine Leuchtrakete aufs Spielfeld – und die Bremer Profifußballer präsentierten sich: Angstlich, unsicher, ratlos.

Obwohl die Grün-Weißen im mit 38.000 Zuschauern ausverkauften Weserstadion – knapp 10.000 Fans waren aus Hannover angereist – früh durch einen schönen Ailton-Hammer in Führung gegangen waren, brachten sie keine Ruhe und Ordnung in ihr Spiel. Also war der Weg frei für Fredi Bobic, um Held des Tages zu werden – mit Treffern in der 44. und in der 76. Minute. Der ebenso schwäbelnde wie selbstbewusste 96-Torjäger konnte es sich sogar leisten, einen Elfmeter übers Tor von Pascal Borel in Richtung A1 zu ballern.

Es war das erste Mal überhaupt, dass Hannover 96 ein Bundesligaspiel in Bremen gewinnen konnte. Und es war das siebte von insgesamt neun Rückrundenspielen, dass Bremen verloren hat. Eine unterirdische Bilanz. Gut, Werder musste fast auf sein komplettes Mittelfeld verzichten: Micoud, Lisztes, Ernst und Skripnik waren gesperrt. Und schon nach 24 Minuten schied Mladen Krstajic verletzt aus. Aber: Tim Borowski, der immerhin schon einmal im Nationalmannschaftskader war, stolperte mit hochrotem Kopf über den Platz und kickte jämmerlich. Vom jungen Markus Daun, der jüngst herumposaunte, wie „geil“ er aufs Toreschießen sei, war ebenfalls so gut wie nichts zu sehen. Ganz zu schweigen vom „Gyros-Bomber“: Angelos Charisteas hat sein letztes Bundesligator für Werder vor einem geschlagenen halben Jahr erzielt – beim Hinspiel in Hannover.

„Man muss das Spiel heute ausklammern, weil uns wichtige Leute gefehlt haben“, sprach Trainer Thomas Schaaf anschließend das aus, was ein Trainer nach so einem Spiel wohl sagen muss – und suchte Halt bei der Göttin Fortuna: „Ich lass’ mich da nicht unterkriegen, irgendwann muss sich das Rad auch wieder in die andere Richtung drehen.“ Sein Hannoveraner Kollege Ralf Rangnick war ehrlicher: „Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mannschaft schon einmal so unterirdisch schlecht gespielt hat wie heute in der ersten Halbzeit“, motzte er trotz des Sieges.

Und was sagte die Ostkurve zu der Niederlage? „Wir haben die Schnauze voll“, brüllten die Fans ihren Spielern ins Gesicht – und trotteten frustriert nach Hause, Krieg gucken im TV. Markus Jox