Rotarmistin in Bremen
: Mit 15 in den Krieg

„Erfrorene Pferde gekocht“

„Die Verwundeten haben nicht vor Schmerzen, sondern vor Hunger gebrüllt. Wir haben erfrorene Pferde gekocht. Mit dem Pickel haben wir Stücke aus ihnen herausgehauen. Noch roh haben die Soldaten das Fleisch verschlungen.“

Die Frau, die das erzählt, war Soldatin, Sanitäterin in einem Maschinengewehrbataillon an der Front. In der Roten Armee. Im „Zweiten Vaterländischen Krieg“, im Zweiten Weltkrieg. Sie heißt Guenia Smouchkevitch, sie ist 77 Jahre alt und heute Abend erzählt sie auf Einladung der Deutsch-Isrealischen Gesellschaft um 20 Uhr im Gästehaus der Universität aus ihrem Leben.

Smouchkevitch ist in Kaunas geboren. „Das kleine Paris Litauens“, sagt sie. Der Krieg beginnt für sie, als eine deutsche Granate den Dampfer trifft, auf dem sie mit anderen Jugendlichen einen Ausflug macht. Zuerst denkt sie bei den Schüssen an eine Übung.

Schließlich ist sie mit dem Lied groß geworden: „Hitler hat hölzerne Soldaten, hölzerne Panzer, hölzerne Flugzeuge. Stalin hat eiserne Soldaten, eiserne Panzer, eiserne Flugzeuge.“ Der Unbesiegbarkeitsmythos der Zeit. Als jedoch die Granate das Schiff trifft, wissen alle: „Krieg“.

Kurze Zeit später zieht sie in den Krieg. Da war Guenia noch ein Teenager, gerade 15 Jahre jung.

Guenia Smouchkevitch ist eine von etwa einer Million Frauen, die als Soldatinnen in der Roten Armee waren. Als Scharfschützinnen, Minensucherinnen, Pilotinnen, Fallschirmspringerinnen. Als Gefreite oder Offiziere. Bei der Artillerie, an der Front, hinter der Front, im Nachschub. Auch im Kampf „Mann gegen Mann“. Als „Soldaten zweiter Klasse“ wurden die Rotarmistinnen wahrgenommen. Für die Nazis waren sie „Flintenweiber“ und „Nachthexen“. Die stalinistische Propaganda wiederum überhöhte sie zum Idealtyp Heldin, Kämpferin – weiblich und furchtlos.

Außer Orden, die sie verliehen bekamen, war Unterstützung bei der Verarbeitung der Kriegstraumata in der Sowjetunion nach 1945 nicht vorgesehen. Stattdessen fühlten sich viele Soldatinnen zurück in der Heimat gar gedemütigt, galten sie doch oft plötzlich als „Fronthuren.“ Doch Guenia Smouchkevitch, die Litauerin, sei immer geachtet worden für das, was sie getan hat, betont sie – im Gegensatz zu ihren Kombattantinnen aus den anderen Sowjetrepubliken.

Smouchkevitch hat den Krieg überlebt, ihre Familie nicht. Da jüdisch, wurden sie ins Ghetto von Vilnius verschleppt und später in Stutthof bei Danzig vergast. Guenia Smouchkevitch hat sie das letzte Mal gesehen, als sie 15 war.

Nach dem Krieg studierte sie, baute Vilnius mit auf, brachte drei Kinder zur Welt – ihre Söhne wanderten später nach Amerika aus, ihre Tochter nach Deutschland.

Dort lebt jetzt auch Guenia Smouchkevitch. In dem Land, das ihre Familie getötet hat, dem Land, gegen das sie gekämpft hat. „Heute ist es mir egal, wo ich wohne“, sagt sie, „ich bin a Mensch und du bist a Mensch. Wir reden miteinander. Bei mir gibt es keinen Unterschied in der Farbe des Körpers, der Sprache, der Nationalität. Bei mir sind alle Menschen Brüder. Keine Mutter will, dass ihr Kind umkommt. Ich will Frieden auf der ganzen Welt.“

taz

Litauerin, Jüdin, Rotarmistin: Guenia Smouchkevitch im Gespräch, heute Abend 20 Uhr, Gästehaus der Universität, Teerhof, Eintritt frei