Magische Momente in der Amtsstube

Der US-Komponist Robert Ashley brachte am Hebbel-Theater seine Mini-Oper „Celestial Excursions“ zur Uraufführung

In seinen Werken erzählt Ashley immer auch die Geschichte seiner Stimme mit

Magische Momente sind die kostbaren Raritäten der Musik. Und die meisten Komponisten müssen sie sich hart erarbeiten. Bei Robert Ashley liegt die Sache anders: Seine Stücke scheinen das Konzentrat musikalischer Magie zu sein. Sanft gleitet seine Stimme über die Texte hinweg. Er spricht, immer an der Schwelle zum Gesang, mit federndem Duktus, ein wenig manieriert, aber immer entspannt. Er zieht seine Phrasen elegant und herausfordernd nach oben, ein bisschen, wie man es von amerikanischen TV-Predigern kennt. Aber er gebärdet sich zurückhaltend und freundlich. Und nie gäbe er seine Haltung eines Glaubensbekenntnisses halber preis.

Begleitet wird Ashley von fernen Synthesizerklängen, einem weich schnurrenden Bass, einem sanft pulsierendem Schlagzeug. Die Musik bettet seine Stimme wie ein weiches Sofa, auf dem er sich, zurückgelehnt, mit ausgebreiteten Armen niederlässt.

Seit über zwanzig Jahren schreibt Ashley, Jahrgang 1930, Werke von dieser Statur: Von seinem psycholinguistischen Essay „Automatic Writing“ bis zur 1998 erschienenen Oper „Dust“. Und auch in seinem jüngsten Werk, „Celestial Excursions“, das am Samstag im Hebbel-Theater uraufgeführt wurde, hat Ashley an diesem Konzept nicht gerüttelt. Er lässt sich auch bei dieser Produktion, wie eh und je, von vier Sängern begleiten, darunter sein Sohn Sam und die Performancekünstlerin Joan La Barbara.

Wer Ashley vor allem von seinen CD-Veröffentlichungen her kennt, muss angesichts der Bühnenausstattung stutzen. Der weite musikalische Raum, vor dem Ashley agiert, wird optisch von dem Charme einer Amtsstube befriedet. Die fünf Akteure kauern bürokratisch in beigefarbenen Strickjacken vor knappen Tischen. Der Pianist hat dem Publikum den Rücken zugewandt, und die Künstlerin Joan Jonas sorgt mit einer enigmatischen, videoverstärkten Pantomime für ein Minimum an Bewegung.

Ashleys rezitierender Gesang aber hat von seinem Zauber nichts eingebüßt. Das Sujet seiner „himmlischen Exkursionen“ sind das Alter und der Tod. Die Szenen und Episoden ranken sich um Arztberichte und Krankenhausbesuche, um Erinnerungen und die Dialektik des Alltags.

In den schwierigen, weil schönen Momenten schälen sich slicke Songs aus den Rezitativen heraus. Ein verhaltener Funkbass steigt an die Oberfläche der Musik. Das Klavier streut glitzernde Arpeggien über den Gesang. Ashley schwärmt: „How precious you are, I mean to me. How precious you are, no one can see.“ Der Harmoniegesang des Quartetts antwortet: „But I’ll keep it a secret.“ „Sincerely.“

Ashleys erzählt mit seinen Werken immer auch die Geschichte seiner Stimme. Und das Thema dieser Oper ist nicht zuletzt deswegen das Altern, weil diese Stimme ein wenig kehlig und brüchig geworden ist. Der Tonfall suggeriert Verletzlichkeit. Und der beiläufige Humor früherer Arbeiten ist der Melancholie und einer Alterssünde, der Heiterkeit, gewichen. Nur in den letzten Sequenzen kommt Wehmut auf, wenn die Formel „The river runs deep, when it comes to the sea“ pathetisch wiederholt und beschworen wird, als ließen sich Bedeutung und Gewicht einer Sache an ihrem Alter ablesen. Vereinzelte Buhrufe mischen sich unter den ehrfürchtig-begeisterten Applaus.

BJÖRN GOTTSTEIN

Heute und morgen, 20 Uhr, Stresemannstraße 29, Kreuzberg