PDS will endlich wieder geil sein

Aber wie anstellen? Mit dem Kampf für ein anderes, soziales Europa? Parteichef Lothar Bisky nutzt den Europaparteitag, um den Genossen Selbstgerechtigkeit vorzuwerfen. Sahra Wagenknecht kämpft sich im Gegenzug auf die Europaliste der Partei

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Das riesige, klobige ICC als Veranstaltungsort des Europaparteitags der PDS passte maßgerecht zu den politischen Ansprüchen der Partei. Es war drei Nummern zu groß. Die knapp 300 Genossen verloren sich in einem der vielen Säle des Internationalen Congress Centrums. Das wiederum legte sich auf die Stimmung der ganzen Versammlung. Lothar Bisky, im Hauptberuf Medienwissenschaftler und im Nebenberuf Übergangschef der PDS, zitierte in seiner Rede den berühmten Spruch von Neil Postmann, wonach wir uns alle zu Tode amüsierten, aber es half nichts. Von Amüsement war auf dem Parteitag wenig zu sehen, von tödlicher Langeweile schon eher.

Nun leiden die Genossen Sozialisten an diesem Gemütszustand nicht allein. Alle Parteien werden von ihm heimgesucht, sobald es um Europa geht. Doch für die Liberalen beispielsweise ist es relativ egal, ob irgendjemand ihre Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin kennt. Die FDP hat in Europa nichts zu verlieren, sie sitzt dort sowieso nicht im Parlament. Für die PDS hingegen ist die ungeliebte Wahl am 13. Juni nicht mehr und nicht weniger als eine Frage von Leben und Tod. Außerdem hat sie ihre 5,8 Prozent von 1999 und sechs Plätze im Europaparlament zu verteidigen. Ihr kann es also nicht gleichgültig sein, dass ihr Spitzenquartett für die Europawahl – Sylvia-Yvonne Kaufmann, Helmuth Markov, Gabi Zimmer, Tobias Pflüger – die Volksmassen nicht gerade elektrisiert. „Wenn wir nicht ins Europaparlament einziehen, dann ist es mit der PDS vorbei“, analysiert Wahlkampfleiter André Brie präzise.

Und so war es Brie selbst, der in seiner Rede die Bedeutung Europas für die PDS jenseits der üblichen Phrasen zu beschreiben vermochte. Der intellektuelle Brie, seit 1999 im Europaparlament und diesmal auf Listenplatz 6, bemühte dabei zweieinhalbtausend Jahre europäischer Aufklärung, Goethes „Wilhelm Meister“ und Heiner Müllers „Hamletmaschine“. Er begründete, warum die PDS für die europäische Integration eintritt, die europäische Verfassung jedoch ablehnt – wegen der darin enthaltenen Pflicht zur Aufrüstung und dem Bekenntnis zum neoliberalen Wettbewerb. Brie forderte für Europa eine identitätsstiftende Idee, wie sie den großen Verfassungsdokumenten des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes oder der französischen Revolution zugrunde lägen. Und er kritisierte, dass die sozialdemokratischen und grünen Eliten die USA immer öfter als wirtschaftspolitischen Maßstab propagierten. Dieses kritische Europa-Bekenntnis war zugleich eine Kampfansage an die radikalen Kräfte der PDS, an die Sahra Wagenknechts und Dieter Dehms, die in Europa lediglich eine Verwertungsmaschine der großen Konzerne sehen.

Ist eine gute Parteitagsrede schon ein Fortschritt? Oder hat Brie damit unfreiwillig nicht gezeigt, wie intellektuell anspruchslos die Partei geworden ist? Lothar Bisky versuchte, wenigstens ein bisschen optimistisch zu sein. In Ostdeutschland hätte sich die PDS stabilisiert, sagte er. Er kritisierte jedoch die zu geringe Ausstrahlung im Westen und attestierte der Partei als Ganzes, sie sei oft „aus Verzweiflung selbstgerecht“.

Brie war da unduldsamer. Er findet, die Partei trage immer noch schwer an der Hypothek der Wahlniederlage 2002. Er forderte die Genossen auf, sich schneller zu verändern, sich politisch und kulturell zu öffnen: „Die Menschen müssen zu uns sagen: Eure Politik ist geil.“

Der Parteitag war dazu nicht angetan. Den Kommunisten und Orthodoxen gelang es zwar nicht, das Wahlprogramm des Vorstands noch europakritischer zu formulieren. Aber sie schafften es immerhin, ihre Ikone Sahra Wagenknecht – entgegen den Plänen der Parteiführung – auf Platz fünf der Europaliste zu wählen. Wagenknecht hatte es sogar fertiggebracht, beim Kampf um Platz drei Exparteichefin Gabi Zimmer in einen zweiten Wahlgang zu zwingen; dort unterlag Wagenknecht knapp. Sie hat dem Rest der Partei eines voraus: Sie ist nicht aus Verzweiflung selbstgerecht, sondern aus Überzeugung.