Berlin gilt nicht jeder Einmarsch als Offensive

Obwohl die Bundesregierung von den Plänen der Türkei wusste, kann man „keine wesentliche Änderung in der Präsenz türkischer Truppen“ erkennen

BERLIN taz ■ Heute tagt erneut das deutsche Sicherheitskabinett. Man berät wieder über die Bundeswehrsoldaten, die auf den vier Awacs-Aufklärungsflugzeugen in der Türkei dienen. Allerdings dürfte die Entscheidung von Kanzler Schröder und seinen wichtigsten Ministern bereits feststehen: Die Soldaten bleiben vorerst an Bord.

Dabei hatte die Bundesregierung am Wochenende gedroht, sie werde die deutschen Soldaten abziehen, „sollte die Türkei Kriegspartei im Irak werden“. Mit diesem Konjunktiv war jedoch offenbar nicht gemeint, dass die Türkei ihre Soldaten in der irakischen Grenzregion nicht aufstocken darf (siehe oben). Denn obwohl man in Berlin von diesen Plänen wusste, lautet die offizielle Sprachregelung: Man könne bisher „keine wesentliche Änderung in der Präsenz türkischer Truppen“ erkennen. Nicht jeder Einmarsch gilt als Offensive.

Dennoch zeigte die deutsche Drohung im Konjunktiv durchaus Wirkung – bei der Union. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber fürchtete bereits um das Nato-Bündnis und warnte „die Bundesregierung ausdrücklich vor einem Alleingang“.

Dieser Alleingang wäre rechtlich möglich: Zwar unterstehen die Awacs-Fernaufklärer auch in Friedenszeiten der Nato und sind damit der operativen Kontrolle des deutschen Verteidigungsministers entzogen. Dennoch bleibt er personalrechtlich zuständig für die abgeordneten Bundeswehrsoldaten. Peter Struck kann also seine Truppen aus der Türkei abziehen, nicht jedoch die Awacs.

Das wäre auch nicht mehr nötig: Militärexperten nehmen an, dass die vier Awacs ohne die deutschen Soldaten nicht einsatzfähig wären. Denn sie stellen rund ein Drittel der insgesamt 200 Awacs-Militärs in der Türkei.

Doch obwohl die Bundesregierung die Fernaufklärer lahm legen könnte, dürfte dies realpolitisch bedeutungslos sein. Denn die Flugzeuge würden vor Ort nicht gebraucht: „Die Türkei hat die Awacs nur auf Druck der USA angefordert“, sagt etwa Militärexperte Ottfried Nassauer. Die Aufklärer hätten keinen militärischen, sondern einen politischen Zweck – „sie sollten die Nato in den Irakkrieg einbinden“.

Gleiches gelte für die 46 Patriot-Flugkörper, die die Deutschen an die Türkei geliefert haben. Auch sie seien nur auf Druck der USA von der Türkei bestellt worden und militärisch eigentlich überflüssig. Nassauer: „Wer soll denn die Türkei überhaupt angreifen?“ Und in der Tat scheint sich die Türkei mehr vor Flüchtlingen als Invasionen zu fürchten (siehe oben). Dennoch drohte Struck am Wochenende unverdrossen, er werde auch die Patriots abziehen, falls sich die Türkei doch noch zu einer Offensive entschließen sollte.

Bisher hatten die Nato-Waffen vor allem einen Effekt: Sie spalten das Bündnis selbst. Dennoch rechnet Nassauer nicht damit, dass die Nato ihre Rüstungspolitik ändert: „Der Trend zu mehr multinationalen Verbänden geht weiter.“ Schon aus Kostengründen: Kein europäischer Staat hätte die Awacs allein finanzieren können. „Sicherheit lässt sich nicht mehr national organisieren.“ Und dann ist da noch die europäische Integration, die immer weiter fortschreitet.

Auch die Freidemokraten kommen voran: Inzwischen hat sie ihre Verfassungsklage nicht nur angekündigt, sondern auch eingereicht. Die Liberalen wollen erreichen, dass die Karlsruher Richter feststellen, dass der Bundestag „unverzüglich“ über den Awacs-Einsatz abstimmen muss. Wie sie dann aber votieren wollen, da sind die Liberalen momentan auch ratlos.

ULRIKE HERRMANN
CHRISTIAN RATH