amerika im krieg (3)
: Ein Tagebuch unseres USA-Korrespondenten Michael Streck

In Zeiten der Kirschblüte

Es ist Wochenende, irgendwo ist Krieg, und das Kirschblütenfest hat wie jedes Jahr Washington fest im Griff. Andere zählen Bomben, eine ganze Meteorologenzunft der lokalen TV-Stationen zählt die Stunden, bis die Kirschblüten aufbrechen. Dann strömen sie aus dem ganzen Land zu Zehntausenden in die Parks, um sich vor der rosaweißen Farbenpracht fotografieren zu lassen. Die Kirschbäume sind ein Geschenk der Stadt Tokio und Symbol der japanisch-amerikanischen Freundschaft. Vielleicht bedanken sich die Stadtväter von Bagdad bei den Amerikanern für die Befreiung vom Diktator demnächst mit einer Ladung Dattelpalmen.

Doch noch bangen Familien um das Leben ihrer Soldaten. Noch rechnet Amerika mit Terroranschlägen. „Wir lassen uns nicht den Spaß verderben“, gab Washingtons Bürgermeister trotzig die Losung aus. Schließlich sind die kommenden zwei Wochen im Zeichen der Kirschblüte das wichtigste touristische Ereignis im Jahr.

In dem lang gestreckten Park zwischen Capitol und Lincoln-Denkmal tummeln sich Familien, verliebte Paare und Sportsfreunde. Pat, 16 Jahre, ist aus Alabama mit zwei Schulfreunden angereist. Angst vor Anschlägen? „Ach was, der Präsident lebt doch hier. Einen besser gesicherten Ort gibt es nicht.“ Die 52-jährige Robin Jones aus Michigan versucht möglichst wenig an den Krieg zu denken. „Das Leben geht weiter.“ Zwei chinesischstämmige Amerikaner aus Boston nutzen die Zeit neben einer Waffenshow zum Bummeln. „Das ist echt Spaß hier.“ Doch manche, wie die junge Frau aus Ecuador, die nahe Washington arbeitet, können nicht zur gewohnten Tagesordnung übergehen. Sie hat den ganzen Tag die Nachrichten aus dem Irak verfolgt. Nun läuft sie einfach allein herum und will abschalten. „Der Krieg macht mich ganz krank. Hier scheint alles so friedlich, und im Irak werden Städte zerbombt.“

Sajid hat seinen Frieden mit dem Krieg gemacht. Saddam Hussein sei ein Verbrecher, der endlich gestürzt werden müsse. Der Mann mit dem warmen Lächeln und grauen Dreitagebart steht in seiner Imbissbude gegenüber vom Weißen Haus.

Seit Ronald Reagan verkauft er hier heiße Würstchen, Brezeln und Cola. Allerdings sei nur Bill Clinton gelegentlich auf einen Hotdog vorbei gekommen. Vor 22 Jahren flüchtete Sajid aus Afghanistan, um in den USA sein Glück zu suchen. „Ich bin zufrieden“, sagt er in seiner silbernen Box, auch wenn das Geschäft gerade etwas flau ist. „Ich bin ein freier Mann, habe genug Geld, und drei meiner vier Kinder besuchen das College.“