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: Noch ist die Türkei keine Kriegspartei – aber sie droht damit, eine zu werden

Sobald die Türkei zur Kriegspartei wird, werden die deutschen Soldaten aus den Awacs-Flugzeugen der Nato abgezogen. So hat es die Bundesregierung beschlossen. Wie aber definiert sich der Status der Kriegspartei?

 Der türkische Außenminister Gül hat erbost darauf hingewiesen, dass auch von Deutschland aus US-Flugzeuge in den Irak fliegen – deswegen sei die Türkei nicht mehr und nicht weniger Kriegspartei wie Deutschland auch. Außenminister Fischer glaubt dagegen realistischerweise, dass sich mit einem aktiven Eingreifen türkischer Soldaten im Nordirak die Lage in der ganzen Region grundsätzlich verändern würde – und findet sich damit an der Seite der USA wieder.

 Tatsächlich ist die Situation militärpolitisch und diplomatisch verzwickt. Türkische Soldaten sind schon lange im Nordirak stationiert – wenn das ein Grund wäre, die Bundeswehrsoldaten aus den Awacs-Fliegern abzuziehen, hätte man sie ehrlicherweise erst gar nicht schicken dürfen. Zudem will die türkische Regierung als glaubwürdig gelten. Demnach würden die zusätzlichen Soldaten, die in den nächsten Tagen die Grenze überschreiten sollen, nicht in die Kämpfe eingreifen, sondern vor allem türkisches Territorium gegen Flüchtlinge und Kämpfer der kurdischen PKK sichern. Andererseits ist die Stationierung türkischer Soldaten in einer nordirakischen Pufferzone keine rein defensive Maßnahme. Der Einsatz des Militärs außerhalb des eigenen Territoriums ist aggressiv, selbst wenn er nur abschrecken soll. Die Türkei verstärkt damit ihre Drohkulisse gegen die Kurden im Nordirak, damit diese nicht auf die Idee kommen, als Ergebnis des Krieges vielleicht doch einen eigenen Staat gründen zu wollen. Man kann das als Absicht zur Aggression oder Vorsichtsmaßnahme zum Schutz der eigenen territorialen Integrität werten, neu ist es jedenfalls nicht.

 Möglicherweise kommt es nun zu vereinzelten Auseinandersetzungen entlang der Grenze. Doch türkische Truppen werden nicht in die kurdischen Ölzentren von Erbil oder Kirkuk marschieren. Das wäre der casus belli, und da sind derzeit die Amerikaner vor. Aber wenn die großen militärischen Auseinandersetzungen vorbei sind und die Beute zu verteilen ist, wird sich die Türkei wieder melden. Für Ankara sind die Einheiten in der Grenzzone des Nordirak eine Garantie, dass ihre antikurdischen Interessen dann nicht vergessen werden – und je mehr Truppen, desto größer die Garantie. Greift dann das türkische Militär tatsächlich zu den Waffen, werden die USA den Krieg gegen Saddam Hussein längst gewonnen haben. In einem solchen Fall wiederum dürften die „deutschen“ Awacs-Flieger längst abgezogen sein – und die deutschen Außenpolitiker haben ein innenpolitisches Problem weniger.

JÜRGEN GOTTSCHLICH