Gewalt und guter Zweck

Situationskomik und philosophische Exkurse: Annette Pullens „Gagarin Way“ im Thalia in der Gaußstraße

Ein unmenschliches System regiert die Welt. Manch einen überkommt die Verzweiflung, und er schreitet zur Tat, um ein Zeichen zu setzen. Terror muss als Reaktion auf die Ohnmacht sein Ziel verfehlen. Davon handelt Gagarin Way, der Erstling des schottischen Dramatikers Gregory Burke, der nach abrupt beendetem Universitätsstudium als Tellerwäscher zu enden drohte. Das ist – fürs Erste – abgewehrt.

Regisseurin Annette Pullen hat nach kleineren Arbeiten mit Gagarin Way, das im September in Essen seine deutschsprachige Erstaufführung erlebte, im Thalia in der Gaußstraße ihr Meisterstück abgeliefert. Immer häufiger bietet die Altonaer Werkstattbühne Gelegenheit, insbesondere die jungen Talente des Thalia-Ensembles in intimem Rahmen zu erleben – diesmal lohnte sich der Besuch wegen Andreas Pietschmann.

Der trägt als Fabrikarbeiter Gary noch reichlich Ideale mit sich herum. Um die Entführung einer Symbolfigur durchzuziehen, tut er sich mit dem allzeit sprung- und gewaltbereiten Eddie, gespielt von Andreas Döhler, zusammen. Die Knarre im Anschlag, gabelt Eddie in der Fabrikhalle den akademisch graduierten Wächter Tom (Asad Schwarz-Msesilamba) auf, und beginnt mit ihm zwischen den leeren Postkästen einer abgewirtschafteten Zeit und einer großen Stahlkugel – Bühne: Petra Winterer – Diskurse über Existentialismus und Nihilismus, Sartre und Genet.

Gekonnt überspitzt Pullen die im Stück angelegte Situationskomik. Die Irritation ist groß, als Gary und Eddie statt des vermuteten japanischen Wirtschaftsprüfers ein einfacher, betagter Angestellter mit Familienanhang in die Hände fällt. Da kommt der Weltraum ins Spiel, Metapher für Befreiung, Anarchie – und Kommunismus. Doch ist Geisel Frank noch nicht mal ein „Ami“, sondern lebt im selben kommunistischen Viertel wie seine Peiniger, wo eine Straße nach dem russischen Kosmonauten Jury Gagarin benannt ist.

Und es kommt noch schlimmer: Franks Vater war Bergarbeiter, ganz so wie die alten Herren von Gary und Eddie. Die Barrieren zwischen Tätern und Opfern schwinden zunehmend, doch einmal begonnen, muss die Aktion auch beendet werden. Erst als mehrere Tote am Boden liegen, dämmert Gary, dass die „Gewalt für den guten Zweck“ gründlich gescheitert, die Welt ein Stück unfriedlicher geworden ist. „Vergessen und die Fresse halten“, sagt Eddie. Der neue Tag beginnt und mit ihm eine neue Schicht.

Caroline Mansfeld

nächste Vorstellungen: 28.3., 12., 19. + 25.4., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße