Romantischer Minimalist

Bei allen verlorenen Lieben: Jonathan Richman singt auch als 51-Jähriger noch gerne über Eisverkäufer, Dinosaurier oder das Leid von Kaugummipapierchen – heute im Schlachthof

von KNUT HENKEL

Über seine Lieder dürfe man nicht reden. Niemals. Musik müsse gehört und nicht debattiert, analysiert und zerpflückt werden, sagt Jonathan Richman – sonst verliere sie ihre Magie. Richmans Stücke haben nie die Magie verloren. Vielleicht haben sich die Leute zwischenzeitlich anderer Musik zugewandt und den Mann, der mit seinen oftmals naiven Texten für Tränen wie Lachsalven sorgte, unbeachtet gelassen.

Richman tingelte weiter durch die Clubs und sang seine Lieder, nahm hin und wieder eine neue Platte auf und blieb der verkannte König des unbeschwerten und schwer gebremsten Rock‘n‘Roll-Songwritings. Zu viel Studiotechnik ist ihm zuwider, und mit der Arbeit von John Cale, der 1972 Richmans allererste Platte produzierte, war er unzufrieden. „Siebenjährige halten sich die Ohren zu, das darf nicht sein“, sagte er einmal – und verbannte den Sound seiner vormaligen Lieblingsband Velvet Underground aus seinem Repertoire.

Einfache, schlichte Arrangements, der leicht nasale Gesang und unschlagbar humorvolle Texte sind sein Markenzeichen. Der Mann schreibt Stücke wie „My Little Kookenhaken“, dessen naiver Charme schon so manchen Konzertbesucher zum Lachanfall hingerissen hat: Es handelt von der ersten Liebe eines Fünfjährigen, der seiner Angebeteten den Phantasie-Kosenamen „Kookenhaken“ verpasst. Wie der mittlerweile 51-jährige Richman auf derartige Namen kommt, behält er für sich. Dafür gibt er seine eigenwilligen Witze preis. Ohne eine kleine Auswahl wird kein Journalist aus der Garderobe entlassen.

Befragt nach der Musikbranche oder den Wurzeln seiner Musik, zeigt sich Richman dagegen zugeknöpft. Für ihn ist das Business so spannend wie seine Steuererklärung, und darüber zu reden, lohnt nicht. Am liebsten steht der romantische Minimalist ohnehin auf der Bühne. 200 Gigs im Jahr sind für ihn keine Seltenheit, denn Musik müsse live gespielt und erlebt werden. Tonträger sind da nur ein notwendiges Übel. Mit dieser Philosophie hat sich Richman den Respekt vieler Kollegen eingespielt, den kommerziellen Durchbruch hat der „beste Amateur des Rock“, wie ihn die New York Times einmal betitelte, aber nie so recht geschafft: zwei echte Hits, „Egyptian Reggae“ und das viel gecoverte „Roadrunner“, abgesehen von den Sesame Street-Klassikern „I‘m A Little Airplane“ und „Ice Cream Man“.

Ohne den Auftritt in der Filmkomödie Verrückt nach Mary (1998) wäre es dabei vielleicht geblieben, doch viele Zuschauer erinnerten sich an den Mann mit der Gitarre im Baum. Jonathan wurde (wieder) entdeckt und mit ihm ein Sack neuer großer Liebeslieder. Die dominieren seine jüngsten Platten, sein Sound ist gleichwohl wieder rockiger und voller geworden. Verantwortlich dafür ist wohl auch Ric Ocasek, Ex-Bandleader der Cars, der I‘m So Confused, Richmans vorletztes Album, produziert hat.

Ein Grund auch, warum Jonathan wieder mit Band unterwegs ist und nicht alleine mit dem Gitarrenkoffer von Stadt zu Stadt zieht. Traurige Texte über verlorene Lieben haben die vermeintlichen Kinderlieder über Insekten, Dinosaurier oder die Leiden des Kaugummipapiers, das nicht gefaltet werden will, nach und nach abgelöst. Doch sein treues Publikum wird den Entertainer Richman auch diesmal sicher nicht ohne „My Little Kookenhaken“ wieder von der Bühne lassen.

heute, 21 Uhr, Schlachthof