: Protest verwässert
Etwa 30.000 Schüler gingen gestern statt in die Schule auf die Straße: Sie wollten Frieden. Doch nicht alle waren friedlich. Polizei setzte Wasserwerfer ein und nahm am Ende Menschen in Gewahrsam, von denen einige gar nicht demonstriert hatten
von LENA GORELIK und ANNE HANSEN
Rund 30.000 Hamburger Schüler protestierten gestern gegen den Irak-Krieg. Sie folgten damit einem Streikaufruf von „Jugend gegen Krieg“ und der Regenbogen-Jugend. Plakate, Trommeln und Peace-Zeichen im Gesicht – die Demonstration verlief einige Stunden friedlich, bis die Situation gegen 11.30 Uhr eskalierte und die Polizei einschritt.
An der SPD-Zentrale war ursprünglich eine abschließende Kundgebung geplant. Die Schüler wollten nicht nur gegen den Krieg demonstrieren, sondern auch gegen die Doppelmoral der Bundesregierung: Kriegsbeteiligung nein, Überflugrechte ja. Aber die Demonstranten zogen aus Platzgründen weiter zum US-Konsulat an der Außenaltster. Die SPD ging auf die Kritik nicht ein: „Hamburg kann stolz sein, dass sich eine ganze Generation engagiert und für den Frieden einsetzt“, so Landesgeschäftsführer Ties Rabe.
Für die meisten Schüler bedeutet „sich engagieren“, ein paar Fehlstunden in Kauf zu nehmen. Viele seien zwar durch Direktoren und Lehrer ermuntert worden mitzumachen, aber frei bekommen sie nicht. „Deswegen kann man auch nicht sagen, dass wir nur auf die Straße gehen, um frei zu haben“, sagt die 19-jährige Deike vom Bismarck-Gymnasium. „Wir wollen Zeichen setzen.“ Gegen US-Präsident George W. Bush und gegen einen „dritten Weltkrieg, der ja kommen kann“.
Einige von ihnen wissen, was Krieg bedeutet und gehen deshalb auf die Straße: „Wenn ich eine Sirene im Fernsehen höre, kriege ich noch immer Gänsehaut und das Gefühl, man könnte jede Minute tot sein. Genau das haben die Menschen im Irak jetzt wohl auch“, sagt die 20-jährige Solmaz Effatpanak vom Gymnasium Marienthal. Sie kommt aus dem Iran und hat dort jahrelang Krieg erlebt. „Bomben verfehlen so schnell ihr Ziel. Und dann sind einfach Kinder tot.“ Immer wieder setzten sich Jugendliche während der Demo auf die Straße. Um zu zeigen, wie tote Menschenmassen aussehen.
Nachdem die Organisatoren die Demo offiziell aufgelöst hatten, blieben die meisten Schüler vor dem Konsulat stehen. Zuvor waren Einzelne auf Bäume geklettert und hatten mit Stöcken, Steinen und Eiern nach bereitstehenden Wasserwerfern geworfen. Mehrmals forderte die Polizei die jungen Demostranten auf, „sich zu entfernen“. Als das keine Wirkung zeigte, kamen die Wasserwerfer zum Einsatz: Schüler stürmten panikartig Richtung Dammtor. Dabei wurden etliche von ihnen zu Boden gerissen. Einige warfen jedoch noch im Weglaufen Steine und Flaschen auf Polizisten. 36 Jugendliche wurden vorläufig festgenommen. Nach Angaben der Polizei wurden drei Beamte so schwer verletzt, dass sie dienstunfähig sind. Auch mehrere Demonstranten wurden verletzt.
„Hilfe, Polizei, unser Freund und Helfer“, schrien die Freunde eines Mädchens, das zusammengebrochen war, aber die Polizisten und Wasserwerfer trieben sie weiter bis zum Dammtor. Als die Schüler auch dort noch nicht zum Weggehen zu bewegen waren, setzte die Polizei nach mehreren Warnungen erneut die inzwischen aufgefüllten Wasserwerfer ein und trieb die noch etwa 500 Demonstranten in die Bundesstraße. Dort wurde eine Gruppe von ungefähr 125 Leuten eingekesselt, in Gewahrsam genommen und auf verschiedene Polizeireviere gebracht.
Darunter waren auch einige Studenten, die hinzugekommen waren, um den Zug auf den Campus zu führen und die Situation so zu entspannen. „Wir sind in diese Richtung gelaufen, weil die Polizei es uns gesagt hat. Wir haben weder Steine geworfen noch vorne mitdemonstriert“, beschwerten sich Jugendliche. Die SPD fordert nun eine außerordentliche Sitzung des Innenausschusses, um die Vorfälle zu klären. Der AStA kritisiert, die Polizei habe auf dem Campus willkürlich Platzverweise erteilt.