In Köln wird Amnesie zur Epidemie

Im Müllprozess sagt Axel Kaske aus. Der ist Korruptionskontrolleur im Stadtrat, kann sich aber an die Namen der drei Firmen, bei denen er im Beirat sitzt, nicht erinnern. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Vorteilsannahme

VON Frank Überall

Nervös saß Axel Kaske (63) auf der Anklagebank. Der SPD-Ratsherr und Vorsitzende des städtischen Rechnungsprüfungsausschusses sagte gestern im Kölner Müllprozess plötzlich nicht mehr nur als Zeuge aus, sondern musste sich selbst verteidigen. Die Staatsanwaltschaft hatte Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorteilsannahme gegen ihn eingeleitet (taz berichtete).

Die Ermittler glauben offenbar, Kaske sei in finanziellen Schwierigkeiten gewesen und habe deshalb nach neuen Einkünften gesucht. Der frühere Geschäftsführer der Kölner Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft (AVG), Ulrich Eisermann, hatte eine entsprechende Aussage gemacht. Unter Mithilfe des damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Norbert Rüther sei ihm dann der Posten im Beirat einer Tochterfirma von Trienekens und Stadt Köln vermittelt worden. Kaske räumte ein, seit dem Jahr 2000 in drei Beiräten zu sitzen. 7.500 Euro bekomme er dafür im Jahr. Man treffe sich etwa alle drei Monate zu Sitzungen.

Von Richter Martin Baur nach den genauen Namen der Gesellschaften befragt, konnte Kaske spontan keine Auskunft geben. In einem dicken Aktenordner musste er nachblättern, um aussagen zu können, dass sich die Firmen um Bauschutt-Recycling und Kompostierung kümmern. „Vor einem Rechnungsprüfer, der nicht einmal die Namen der Gesellschaften auf die Reihe kriegt, hätte ich aber keine Angst“, meinte Richter Baur. Kaske sah das anders. Er sei gerade deshalb angesprochen worden, weil er Korruptionskontrolleur im Stadtrat ist. Weil die städtischen Tochtergesellschaften formal nicht geprüft werden dürfen, habe er wenigstens durch die Tätigkeit im Beirat ein wachsames Auge auf die dortigen Gepflogenheiten werfen wollen.

Als Rüther auf ihn zugekommen sei und ihm den Beiratsposten anbot, habe er sich nichts dabei gedacht, meinte Kaske. Einen Zusammenhang mit angeblichen wirtschaftlichen Problemen habe er nicht gesehen: „Ich stehe finanziell auf sicheren Füßen. Das war auch damals so.“ Der SPD-Mann machte für sich auch geltend, dass er Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) über seine Tätigkeit informiert habe. Von der Verwaltungsspitze habe es keinen Einspruch gegeben. Im Juni 2003 hatte die Stadt auf Anfrage der Grünen sogar ausdrücklich festgestellt, dass bei den Mitgliedern der Beiräte keine Befangenheit vorliege.

Zur Zeit gehören auch die Ratsmitglieder Karl-Jürgen Klipper, Hans-Werner Hamm, Matthias Wirtz (alle CDU) sowie Karl-Heinz Schmalzgrüber (SPD) den Gremien an. Gegen sie wird aber nicht ermittelt, weil sie nicht – wie angeblich Kaske – wegen möglicher finanzieller Probleme in die Beiräte entsandt wurden.

Über mögliche Kontakte zum ehemaligen Kölner Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier (SPD) äußerte sich Kaske dagegen zurück haltend. Er habe ihn einmal angerufen, um einem Bekannten eine Wohnung zu besorgen. Schließlich habe der Esch-Fonds, dessen Geschäftsführer Ruschmeier ist, in Kaskes Wahlkreis gebaut. Die Vermittlung sei aber nicht erfolgreich gewesen. Ein weiteres Telefonat habe es gegeben, nachdem der Bericht des Rechnungsprüfungsamtes zum Müllskandal vorlag. Da habe Ruschmeier ihm etwas sagen wollen, auch dieses Gespräch sei aber nicht zustande gekommen.

Unterdessen erläuterte der Aachener Universitätsprofessor Max Dohmann, wie der damalige Müllunternehmer Hellmut Trienekens versucht habe, Rüther als politischen Berater an seinem Institut unterzubringen und dafür zu bezahlen. 100.000 Mark im Jahr sollte Rüther erhalten, um monatlich über Gesetzesvorhaben des Landtags zu berichten. Er habe Rüther zu diesem Zeitpunkt nicht einmal gekannt. Warum Trienekens ihm das Geld zur Rüther-Beschäftigung spendieren wollte, habe er sich nicht gefragt, so der Professor: „Ich kannte Trienekens vom Bundesverband der Entsorgungswirtschaft und als erfolgreichen Unternehmer, da habe ich keine Mutmaßungen angestellt.“ So arglos blieb der Hochschullehrer offenbar auch. Denn selbst als die avisierte Gratisunterstützung durch den Abgeordneten Rüther ausblieb, stellte er keine Fragen. Rüther machte später geltend, er habe sich nicht in Abhängigkeiten von Trienekens und der Entsorgungsbranche begeben wollen.

Heute sollen sowohl das ehemalige Kölner Grünen-Ratsmitglied Petra May als auch NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn als Zeugen aussagen. Beide standen der Müllverbrennungsanlage sehr kritisch gegenüber. Vor allem hatten sie kritisiert, dass das Milliardenprojekt überdimensioniert geplant worden sei.