Ende der Vorstellung

Das traurige Ende der Komödie: Mit dem Bremer Waldau-Theater muss die größte Spielstätte für niederdeutsches Schauspiel Insolvenz anmelden – nicht zuletzt, weil der Geschäftsführer und der Intendant sich selbst die Nächsten gewesen sind

aus Bremen Benno Schirrmeister

Hinter der Bühne sind Tränen geflossen. Nach vorne hin noch freundlich gegrüßt, bis zum letzten Vorhang, das Lächeln nicht verrutschen lassen. Fast die ganze Belegschaft des Waldau-Theaters, auch die rund 30 Mitarbeiter aus dem technischen Bereich, war zum Schlussapplaus an die Rampe getreten. Das Publikum hatte sich von den Plätzen erhoben und, so wird auf der Nebenbühne erzählt, auch dort sei geweint worden.

Am Stück hat’s nicht gelegen haben: „Arsen und Spitzenhäubchen“ gilt als Klassiker der Schwarzen Komödie, gepflegter Boulevard. Auch wenn Joseph Kesselring, so will es die Legende, Ende der 1940er fürs ernste Fach geschrieben haben soll: Während der Vorstellung johlen die knapp 500 Zuschauer – ein paar Plätze sind leer geblieben – laut auf, wenn die beiden alten Damen ihren Neffen Mortimer Brewster vom Leichenfeld im Keller erzählen. Und ihm mit unschuldiger Miene berichten, dass die zwölf Herren da unten natürlich Opfer ihres mit Arsen, Strichnin und Zyankali versetzten Holunderweins geworden seien. Vorhang.

Die nächsten Vorstellungen waren für den 19. und 20. Februar angesetzt. Aber sie werden wohl entfallen, ebenso wie das zum 75-jährigen Bestehen geplante niederdeutsche Theaterfestival: Das Waldau-Theater war die größte professionelle Bühne für plattdeutsches Schauspiel. Der Grund: Gestern kündete der Kultursenator Hartmut Perschau (CDU) an, dass sein Ressort „nach neuesten Erkenntnissen“ über die „wirtschaftliche Entwicklung des Waldau-Theaters die Notbremse gezogen“ – sprich: dem Träger „die sofortige Einstellung der Zahlungen mitgeteilt“ habe. Direkte Folge: Die Waldau-Theater GmbH muss morgen Insolvenz anmelden – nachdem gestern ein erster Antrag aus formalen Gründen abgewiesen wurde. „In dieser Größenordnung“, ordnet der geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins Rolf Bolwin das Ereignis ein, „hat es in Deutschland seit Jahren keine Theaterschließung mehr gegeben.“ Frankfurt an der Oder falle ihm noch ein, das sei Ende der 90er gewesen. „Aber das war eine wirtschaftlich schwache Stadt in den neuen Bundesländern, mit etwas mehr als 70.000 Einwohnern“. Bremen dagegen zähle rund 540.000. Da stelle sich doch wirklich „die Frage der Angemessenheit“. Er halte das für symptomatisch. Eine ständige Spardiskussion mache die „Bremer Kulturpolitik“, so Bolwin, zu einem „Negativbeispiel ohnegleichen“.

Nein, nein, den habe er „getröstet und ins Auto gesetzt“, gibt Herbert Cocek dem Kollegen Auskunft, der sich nach „dem Frank“ erkundigt. Beim Waldau gewesen, so erzählt Cocek dann, sei er so 16 Jahre. „Sogar genau, Januar 1988, da habe ich hier angefangen“. Der Bereich Technik, Hausmeister halt. „Mensch, Herbert“, sagt eine Schauspielerin, „du warst doch nie bloß ein Hausmeister“, und klopft ihm auf die Schulter. Gute Seele des Betriebs, so nennt man gewöhnlich Leute wie Cocek.

Jetzt sitzt die gute Seele des Betriebs im grauen Sweater unterm aufgerollten Feuerwehrschlauch auf der Nebenbühne und lässt Flügel und Schnurrbart hängen. Der Blick geht auf die Bühne: Die Requisiten werden in Umzugskartons verstaut. Zu sehen scheint Cocek davon nichts. Er sucht Halt in Floskeln: dass man keine Chance habe, sie aber nützen wolle, dass die Hoffnung zuletzt sterbe, aber „ach, das sagen ja immer alle“. Das Gefühl „dass jetzt alles zu Ende sein soll“, nein, das könne man nicht beschreiben: „Es ist einfach ein Riesenkloß.“

Die Schauspieler, die Techniker – das sind die unschuldigen Opfer. Allerdings nicht einmal nur der Bremer Kulturpolitik, und wohl nicht einmal in erster Linie: Das Theater, mit einer durchschnittlichen Platzausnutzung von 75 Prozent, wäre lebensfähig gewesen. Nicht jedoch unter der bisherigen Leitung. Einer der beiden Geschäftsführer wurde bereits im vergangenen Sommer geschasst – wegen Unregelmäßigkeiten, die nun die Gerichte beschäftigen. Auch der andere, Intendant Michael Derda zeichnete sich durch eine erhebliche Selbstbedienungsmentalität aus. Zugleich hatte er das plattdeutsche Kulturangebot auf ein Minimum zurückgefahren – gerade genug, um weiter die Sonderzuwendungen für die Kulturarbeit in der geschützten Minderheiten-Sprache einzustreichen. „Eine Chance“ sieht daher ausgerechnet Reinhard Goltz vom Institut für niederdeutsche Sprache in der Schließung. Einen Neuanfang vorausgesetzt, böte sich Bremen damit die Gelegenheit „eine moderne Repräsentanz regionaler Kultur einzurichten“. Munteres, zeitgemäßes niederdeutsches Theater sei möglich. Das beweise ja das Hamburger Ohnsorg-Theater. „Allerdings“, so Goltz, „mit einer deutlich kleineren Immobilie“.