Heiliger Haudrauf

Nach dem Endspielerfolg gegen Indien bei der Kricket-Weltmeisterschaft kann sich Australien nun wieder ganz auf den Irakkrieg konzentrieren

von BERND MÜLLENDER

Australien ist alter und neuer Kricket-Weltmeister. In einem einseitigen Finale beherrschten die Aussies am Sonntag im südafrikanischen Johannesburg ihren Gegner Indien auf fast unanständige Weise: Mit phänomenalen 359 Runs, einsamer Rekord für ein WM-Finale, war das Spiel schon zur Halbzeit entschieden. Analysten hatten vorher vermutet, dass schon die Hälfte reichen könnte. Die gedemütigten Inder schafften später gegen nachlässige Gegner immerhin 234 Runs.

Nach dem lockeren Triumph tönte Australiens Captain Ricky Ponting ganz bescheiden: „Wir haben neue Standards gesetzt.“ Und tatsächlich: Ponting spielte im Wanderers Stadium das Spiel seines Lebens: Er allein schaffte „majestätische 140 Runs“ (CNN), wobei er den Ball achtmal auf die Tribünen und sogar darüber prügelte – auch das kannte noch keine WM-Statistik. Neu waren auch die Proteste hunderter Kriegsgegner unter den 30.000 Zuschauern gegen Australiens Teilnahme am Irakfeldzug.

Auch ohne seinen besten Spieler, den wegen Doping gesperrten Fastbowler Shane Warne, hatte Australien das gesamte Turnier derart dominiert, dass der derzeitige Bundesliga-Alleingang der Münchner Bayern wie ein Hitchcock-Krimi wirkt. Nur in der ersten Hälfte ihres pazifischen Derbys gegen Neuseeland („Trans-Tasman Clash“) hatten sich die Champions anfangs verkrampft präsentiert. Umso beeindruckender, wie ihre Bowler danach einen Kiwi-Batsman nach dem anderen herausgeworfen hatten, dass der Gegner zur verspotteten Altherrenmannschaft „from Old Zealand“ wurde und die Erklärung in Magie, Zauberei und Hexenkunst suchen musste.

Als bester Spieler des Turniers war schon vor dem Endspiel der Inder Sachin Tendulkar (29) ausgezeichnet worden. Bezeichnend: Er mag zwar der weltbeste Batsman sein, aber im Endspiel knüppelte er schon seinen fünften Ball dem Werfer Glenn McGrath zurück in die Arme und musste den Platz räumen, kaum dass er ihn beifallumrauscht betreten hatte. „Tendulkar lässt eine Milliarde Menschen trauern“, titelte die Agentur Reuters. Das ist nicht einmal übertrieben: Kricket ist auf dem Subkontinent Indien mit Abstand Volkssport Nummer 1, und Tendulkar wird derart verehrt, dass heilige Kühe neidisch werden.

Aber die indische Schmach hatte etwas Gutes – für deren Nachbarn: Mitfavorit Pakistan, vor der Finalrunde ausgeschieden, feierte die Klatsche als späte Rache. In der Vorrunde hatte das Los erstmals seit Jahren für ein Spiel Pakistan gegen Indien gesorgt und Tendulkar hatte überragend gespielt bei Indiens Sieg.

Spitzfindig anders freuen sich die Neuseeländer in diesen Tagen. Sie haben für ihren pazifischen Nachbarn, traditionell in inniger und derzeit besonders frostiger Antipathie zugetan, auf einem Nebenkriegsschauplatz noch einen Konter parat: Dank der klaren Anti-Bush-Politik ihrer Regierungschefin Helen Clark gehört Neuseeland zur „Koalition der Unwilligen“. Damit haben die Aussies nun einen anderen Titel allein: Man ist jetzt nicht nur das erste Team mit drei Worldcup-Siegen, sondern auch Erster in der Wertung der meisten Kriegsteilnahmen nach dem Zweiten Weltkrieg. Bislang teilten sie sich diese unrühmliche Pole Position mit den Kiwis.

So versöhnt Kricket auf vielfältige Art. Auch die südafrikanischen Gastgeber waren trotz des überraschend frühen Ausscheidens ihres Teams letztlich zufrieden. Sie inszenierten ein fröhliches Spektakel ohne Sicherheitsprobleme und konnten fast 700.000 Zuschauer in die meist ausverkauften Stadien locken. Das Turnier galt als Test und indirekte Bewerbung für die Fußball-WM 2010.