Die lange Nacht der indirekten Rede

Für den Frieden waren alle. Manche Schauspielerinnen trugen deswegen helle Kleider, andere schwarze, wieder andere hefteten sich weiße Tauben ans Revers. Nur Michael Moore redete Klartext. Am Sonntagabend wurden die Oscars verliehen

von SVEN VON REDEN

Hanoi-Jane war wenig mutig. Als die Antikriegsaktivistin Jane Fonda 1972, auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs, ihren Oscar für ihre Rolle in „Klute“ entgegennahm, meinte sie lediglich: „Es gäbe eine Menge zu sagen, aber ich werde es nicht heute Abend sagen.“ Andere waren kühner: 1973 entsandte Marlon Brando Sacheen Littlefeather zu den Academy Awards, um seinen Oscar zurückzuweisen als Protest gegen die Behandlung der amerikanischen Ureinwohner. Zwei Jahre später provozierte Produzent Bert Schneider einen Eklat, als er, wenige Wochen vor dem Einmarsch nordvietnamesischer Truppen in Saigon, eine „freundliche Grußbotschaft“ des Vietcong an das amerikanische Volk vorlas.

In dieser Spannbreite bewegten sich auch bei den 75. Academy Awards die politischen Äußerungen der Schauspieler und Präsentatoren. Die großen Stars, teilweise noch auf der Berlinale auffällig geworden mit klaren Aussagen gegen die Politik der US-amerikanischen Regierung, begnügten sich mit Andeutungen: „Glauben Sie es oder nicht, wir sind hier wegen der Arbeit der Künstler“, verlautbarte ein sichtlich angespannter Dustin Hoffman. Anders als viele seiner liberalen Kollegen trug er nicht einmal eine Friedenstaube am Revers – angeblich hatte er im Vorfeld der Preisverleihung Drohanrufe bekommen. Susan Sarandon machte ein Peace-Zeichen und las einen mehrdeutigen Text über die „Notwendigkeit von Dialog, der Wandel ermöglichen kann“ vom Teleprompter ab. Was könnte Richard Gere gemeint haben, als er die Wörter „Mord“ und „Medien“ in einem Satz erwähnte? Sprach er nur über seinen Film „Chicago“ oder auch über die aktuellen Bilder auf CNN?

In der durch die Vorberichterstattung aufgeheizten Atmosphäre fahndete man ständig nach kleinsten Zeichen politischer Zugehörigkeit. Trugen Jennifer Lopez und Halle Berry helle Kleider als Antwort auf die schwarzen Trauerroben ihrer liberalen Kolleginnen Barbra Streisand, Meryl Streep und Salma Hayek? Wies die kleine Amerikaflagge am Revers von Jon Voight auf einen Streit mit seiner Tochter Angelina Jolie hin, die der Verleihung fern geblieben ist? Ist die deutsche Oscar-Gewinnerin für den besten ausländischen Film, Caroline Link („Nirgendwo in Afrika“), wirklich nur deshalb nicht gekommen, weil ihr Kind krank ist?

Doch es gab auch einige, die klare Worte fanden – die, die nicht so viel zu verlieren haben oder sowieso fern von Hollywood leben. Im Vorfeld hatte Oscar-Organisator Gil Cates eine Richtlinie vorgegeben: Wer gewinnt, darf 45 Sekunden sagen, was er will; wer die Nominierten oder die Gewinner präsentiert, soll sich mit politischen Äußerungen zurückhalten. Mit jugendlichem Übermut setzte sich der mexikanische Schauspieler Gael García Bernal darüber hinweg, als er den Song „Burn It Blue“ aus „Frida“ präsentierte und dabei im Namen von Frida Kahlo die Notwendigkeit von Frieden in der Welt beschwor. Adrien Brody, Gewinner des Oscar als bester Hauptdarsteller für seine Rolle in „Der Pianist“, forderte zum Gebet auf – zu Gott oder Allah – für eine „friedvolle und schnelle Lösung“ des Konflikts. Auch diese offenen Botschaften ernteten freundlichen Applaus. Wer ist schließlich nicht für den Frieden?

Es brauchte Michael Moore, um Namen zu nennen. Als er durch die stehend klatschenden Zuschauerreihen ging und zusammen mit den anderen nominierten Dokumentarfilmern die Bühne erklomm, lag der Eklat bereits in der Luft. Und Moore schoss wohl noch über die Erwartungen des Publikums hinaus. Als er Bush als „fiktiven Präsidenten“ und Gewinner einer „fiktiven Wahl“ bezeichnete, kamen erste Buhrufe, bei seinen „Shame on you, Mr. Bush“-Rufen fing das Orchester an zu spielen. Als Pedro Almodóvar später seinen Drehbuch-Oscar allen Friedensaktivisten widmete, die für internationales Recht einstehen, fiel das kaum mehr jemandem auf.

1975 soll Bob Hope, einer der Präsentatoren der Oscar-Verleihung, so entsetzt gewesen sein von Bert Schneiders Affront, dass er drei Jahre nicht mehr zu den Preisverleihungen ging; Frank Sinatra las noch während der Show eine Gegendarstellung der Veranstalter vor, in der sie sich für den Eklat entschuldigten. In diesem Jahr blieb die Academy eine direkte Antwort auf Moore schuldig. Kathy Bates’ Rede, die als Präsentatorin wenige Minuten nach Moore folgte, schien allerdings wie eine Replik auf den streitbaren Dokumentarfilmer: „Jedes Mal wenn ein Oscar vergeben wird, ändert sich das Leben von jemandem, meist zum Besseren. Meistens sind die Gewinner bei der Preisverleihung so aufgeregt, dass sie hinterher gar nicht mehr wissen, was sie gesagt oder getan haben. Erst später, wenn sie zurückschauen auf die spezielle Nacht, begreifen sie die volle Tragweite der Geschehnisse.“ Den letzten Satz spricht Bates mit gespielt drohender Stimme, anscheinend als Reaktion auf das Gelächter im Publikum. War diese Doppeldeutigkeit vielleicht schon im Vorfeld geplant? Eigentlich sollte ihr Text einen kurzen Clip über ehemalige Oscar-Gewinner ankündigen, so aber wurde er zu einer sowohl ernst als auch ironisch zu lesenden Drohung an Moore.