bernhard pötter über Kinder
: Kinderspiel Krieg

Nimmt man jüngsten Waffennarren ihre Silberbüchsen, spielen sie dann Cap Anamur?

Noch ganz erhitzt vom Kampf, bei dem ich im Schatten unserer Plattenbausiedlung mit der selbst gesägten Silberbüchse dutzende von bösen Cowboys abgeknallt hatte, war ich nach Hause gekommen. Da bekam ich von meiner alten Squaw eine christlich-pazifistische Gardinenpredigt zu hören. „Krieg ist kein Kinderspiel. Wenn du auf andere schießt, sind die tot, und dann sind alle traurig.“ Meine lapidare Antwort: „Ich weiß nicht, was du hast, wir schießen doch nur Büffel.“ Meiner Mutter fehlten die Worte.

Heute trägt mein Sohn Jonas stolz die Silberbüchse seines Vaters. Allerdings nur als Jagdwaffe. Für den Nahkampf setzt er bisher ganz auf Hieb-, Stich- und Handfeuerwaffen. Schwer beladen mit Schwert und Beil, Revolver und Pistole schleppt er sich durch die Wohnung. Kommen seine ebenfalls schwer bewaffneten Freunde zu Besuch, kommt es sofort zu Feuergefechten. Quakt seine kleine Schwester, zielt ein Gewehrlauf auf ihren Po. Drängele ich ihn zum Zähnebürsten, fuchtelt er mit seiner Pistole vor meinem Gesicht herum. Gibt’s irgendwelche Probleme? „Pch-pch.“ Und schon sind sie gelöst.

Noch gibt es im Kindergarten keine Waffendetektoren. Aber eine Waffenkammer ist angelegt, die regelmäßig geleert werden muss. Während die Mädchen sich Glitterlametta ins Haar schmieren, beulen sich die Hosentaschen der vierjährigen Jungs vor Kriegsgerät. Jonas möchte später mal Polizist werden. Der Grund ist einleuchtend: „Die dürfen schießen.“ Die allgegenwärtigen Bilder von Panzern und Soldaten im Irak faszinieren ihn.

„Also, von mir hat er die Waffen nicht!“, erklärt empört meine Mutter. Ihr Vater ist im Zweiten Weltkrieg gestorben. Sie geht regelmäßig zum Friedensgebet. Und sie hat doch nicht verhindern können, dass ich als Kind mehrere Divisionen von Weltkrieg-II-Soldaten liebevoll bemalt habe und dass sich mein Lego am Ende immer in ein Schlachtschiff, einen Sturzkampfbomber oder mindestens ein US-Fort für tapfere Kavalleristen verwandelte. Meine Eltern hat die heimliche Aufrüstung im Kinderzimmer immer gestört. Seltsamerweise fanden sie die tatsächliche Aufrüstung Deutschlands mit Pershings und Cruise Missiles in den Achtzigerjahren vollkommen in Ordnung.

Verrohen unsere Kinder, wenn sie mit Waffen spielen? Andersrum: Wenn man ihnen die Waffen wegnimmt, spielen sie dann Cap Anamur im humanitären Einsatz? Denkste. Im Zweifel tut es auch der Zeigefinger. „Es geht um Macht“, sagt Anna. „Die Kinder merken, dass Waffen Macht verleihen. Das finden sie toll.“ Es geht auch darum, Aggressionen abzubauen. Und es geht einfach um Räuber-und-Gendarm-Spiele und wilde Ballereien.

Macht. Aggression. Ballermania. Das erinnert an Michael Moores Oscar-gekrönten Film „Bowling for Columbine“. Moores These: Die Menschen in den USA schießen so viel, weil sie Angst haben. Vor den Schwarzen, vor den Weißen, vor den Waffen. Das Problem mit den Kindern ist aber genau umgekehrt: Sie haben zu wenig Angst vor den Waffen. Sie gewöhnen sich daran, dass Waffen im Haus sind, dass man sie braucht und gebraucht.

Führen die USA den Krieg im Irak also, weil sie ein Volk von Ballermännern und -frauen sind? Die These, dass es Frieden zwischen Staaten nur geben könne, wenn auch jeder Einzelne friedlich ist, hatte in der Friedensbewegung lange Konjunktur. Erst müsse man seine privaten Aggressionen in den Griff kriegen, ehe man an Friedenspolitik denke könne. Selig die Friedfertigen.

Das klingt gut, aber es stimmt nicht. Denn Krieg ist ja gerade nicht das Töten im Affekt, sondern der geplante und befohlene Mord. Die Gesichter der jungen GIs am Golf sind nicht hassverzerrt. Sie wollen nur ihren Job erledigen und nach Hause: Nichts gegen euch persönlich, wir müssen nur mal eben euer Land platt bomben. Offenbar kann man im Hightechkrieg tausende von Menschen in den Tod schicken, ohne dabei mehr als kalte Professionalität zu empfinden. Krieger sind eben cool.

Als der gräuliche Schlachtenlärm aus dem Kinderzimmer gar nicht mehr aufhört, schreiten Anna und ich endlich zur Entwaffnung. Jonas muss die Silberbüchse rausrücken, Lukas die Pistole, Benjamin die Streitaxt. Unter lautem Protestgeheul treibe ich die Abrüstung voran. Die Wut steigert sich zur Raserei, als ich nach zehn Minuten ein Inspektorenteam ins Zimmer schicke und auch die bislang versteckten Waffensysteme aus dem Verkehr ziehe. Die Situation entspannt sich erst dann, als wir eine kontrollierte Wiederbewaffnung erlauben.

Offenbar kann man seinen Kindern Friedfertigkeit nur beibringen, wenn man ihrer Wut und Aggression mit massiver Vergeltung droht. Friedensengel müssen manchmal ganz schön brüllen.

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