Schnell bis Bagdad

Gemessen in Meilen rücken die US-Truppen rasant vor. Schwierig wird es vor der Hauptstadt

von ERIC CHAUVISTRÉ

„Schnell und in manchen Fällen dramatisch schnell“ kämen die Truppen voran. Tommy Franks, Chef des US-Central Command, verbreitete gestern Nachmittag Optimismus. Auf Schwierigkeiten sei man vorbereitet gewesen, bewusst habe man „feindliche Verbände“ umgangen.

Angesichts der durch Berichte über gefangene, verletzte und getötete US-Soldaten verunsicherten amerikanischen Öffentlichkeit sah sich der Oberkommandierende für den Angriff auf den Irak offenbar genötigt, zu versichern, dass alles nach Plan laufe.

Schon am Wochenende hatte sich US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gleich dreimal von den großen US-Fernsehsendern interviewen lassen, um zu versichern, dass auch bei Schwierigkeiten und Verzögerungen das Ziel des Kriegs erreicht würde.

Auch das Vorrücken der Bodentruppen, so versicherte das Central Command gestern, sei ganz im Zeitplan. Die Umgebung von Bagdad werde man bald erreichen. Gemessen in Meilen oder Kilometern rücken die US-Truppen in der Tat in rasantem Tempo vor, wenn auch nicht schneller, als dies die Pentagon-Führung lange vor dem Krieg hatte streuen lasssen. Stets hatten Militäranalysten vorhergesagt, dass die irakische Führung wohl plane, den US-Truppen die Wüste zu überlassen und sich in den Städten zu verschanzen. Doch der Vorfall bei Nasiriah, bei dem zwölf Soldaten einer Instandsetzungseinheit getötet oder als Gefangene genommen wurden, zeigt, wie anfällig die schnell vorrückenden Truppen sein können.

Auch im Süden des Irak scheinen die US-Truppen sehr viel weniger unter Kontrolle zu haben, als sie das zunächst vermitteln wollten. Der Sender al-Dschasira berichtete gestern von heftigen Kämpfen am Flughafen von Basra: Nach Angaben des Senders seien daran auf irakischer Seite nicht reguläre Truppen, sondern die Fedajjin, dem Regime Saddam Husseins besonders loyale Freiwillige, beteiligt gewesen. „Kontakte mit solchen Milizen sind nicht unerwartet“, kommentierte Franks gestern diese Berichte.

Auch der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon sprach davon, dass der Süden zwar „im Wesentlichen unter der Kontrolle der alliierten Streitkräfte“ sei, es aber noch Widerstand gäbe „von Leuten, die nichts zu verlieren haben“. Genau von solchen Einheiten, die eng an das Regime gebunden sind, scheint es offenbar mehr zu geben, als die politischen wie militärischen Führer in Washington gedacht haben. US-Militärs hatten in den letzten Wochen immer wieder den Eindruck erwecken wollen, die US-Truppen würden überall als Befreier gefeiert. Zumindest im mehrheitlich schiitischen Süden war diese Unterstützung durch die Bevölkerung fest in die Strategie eingeplant.

Jetzt behaupten US-Militärs, dass sehr viel mehr Soldaten desertieren, als die Zahl der bislang 3.000 Gefangenen vermuten lässt. In vielen Fällen, so erzählen Pentagon-Beamte US-Medien, würden sie schlicht zu ihren Familien zurückgehen. Es könnte aber auch sein, dass sich einige Teile der irakischen Truppen zwar die Uniformen ausziehen und sich aus den Einheiten zurückziehen, aber auch ohne Uniform eine Gefahr für die US-Truppen und ihre Verbündeten darstellen können. In einem Fall berichten US-Truppen von Irakern in Zivilkleidung, die sich zu ergeben schienen, dann aber auf US-Einheiten schossen. US-Medien berichten auch, dass sich eine Divison der irakischen Armee in Basra in Wohnviertel zurückgezogen habe, in der Erwartung, dort von US-amerikanischen oder britischen Streitkräften nicht beschossen oder bombardiert zu werden.

Rumsfeld selbst sprach am Wochenende davon, dass sich Republikanische Garden in Richtung Bagdad zurückzögen. Sollte dort der Krieg in einer Belagerung der Hauptstadt enden, wäre zwar letztendlich die Überlegenheit der US-Streitkäfte nicht in Frage gestellt. Aber es wäre der US-Regierung wohl kaum noch möglich, den Krieg als Befreiung für den Irak darzustellen.

Die Eroberung Bagdads, betonte gestern denn auch Lewis Moonie, Staatssekretärin im britischen Verteidigungsministerium, in einem Gespräch mit der BBC, ist die „große Unbekannte“. Auf bis zu 100.000 schätzt das Pentagon selbst die Stärke der Republikanischen Garde in oder um die Hauptstadt. Welche Konsequenzen ein Straßenkampf, eine Belagerung oder gar eine noch stärkere Bombardierung für die Versorgung der Menschen in der Fünfmillionenstadt Bagdad hat, lässt sich jetzt an den ersten Berichten aus der sehr viel kleineren Stadt Basra ablesen (siehe Text rechts). Wären alle Versorgungswege gekappt und die Stromversorgung dauerhaft lahm gelegt, gäbe es kein Trinkwasser. „In gewisser Weise“, kommentierte gestern die New York Times, „hat der wirkliche Krieg gerade erst begonnen.“