Schwitzende Engel

„Rapid Ear Movement“ (REM): Morgen beginnt im Neuen Museum Weserburg eine Reihe mit zehn Konzerten elektronischer Musik. Der Anspruch: Die körperliche Arbeit der Interpreten sichtbar zu machen

„Das wird keine Massenveranstaltung. Aber diese Musik muss hörbar werden“„Ich habe ausgewählt, was mir gefällt, genauer: Was mich verunsichert“

Schon 1907 hatte Ferruccio Busoni prophezeit, dass die Weiterentwicklung der Musik an den traditionellen Instrumenten scheitern wird. In den fünfziger Jahren – begleitet von Wogen der Auseinandersetzung – entstanden in Mailand, Utrecht, Stockholm und Tokio die großen Zentren der elektronischen Klangerzeugung. Karlheinz Stockhausen („Gesang der Jünglinge im Feuerofen“, 1953), Edgar Varèse („Poème électronique“, 1956) oder auch Luigi Nono („Fabbrica Illuminata“, 1964) schrieben Musikgeschichte.

Heute allerdings ist die elektronische Musik in unserem Konzertleben immer noch nicht wirklich präsent – obwohl sie fester Bestandteil der Kompositionsstudiengänge ist und trotz ihres überdimensionalen Einsatzes in der Popmusik.

Hanne Zech, stellvertretende Direktorin des Museums Neue Weserburg und der Bremer Komponist Christoph Ogiermann haben nun in Zusammenarbeit mit diversen Bremer Kultureinrichtungen eine zehnteilige Reihe mit dem Titel „REM - Reihe elektronischer Musik oder auch Rapid Ear Movement“ konzipiert. Morgen ist das erste Konzert zu hören.

taz: Frau Zech, Ihr Interesse auch für zeitgenössische Musik ist bekannt. Aber warum engagieren sie sich speziell für elektronische Musik?

Hanne Zech: Zum einen arbeiten viele bildende Künstler und auch Schriftsteller in diesem Grenzbereich. Zum anderen finde ich es kulturpolitisch wichtig, dass Gegenwartskunst mit den anderen Künsten kooperiert. Das wird keine Massenveranstaltung, aber diese Musik muss sicht- und hörbar werden. Ich verspreche mir auch viel von den anschließenden Diskussionen.

Christoph Ogiermann, nach welchen Kriterien ist Ihre Auswahl erfolgt? Das Programm beinhaltet historische Musik, politische Musik, Musik von Frauen, Filmmusik ...

Christoph Ogiermann: Nur nach dem Lustprinzip. Ich habe ausgewählt, was mir gefällt, etwas genauer: Was mich verunsichert.

Die Popmusik fehlt?

Ogiermann: Nein. Die ist in einem Konzert vorhanden, das „Knieschuss“ gestaltet hat.

Wie kommt man an solches Material heran?

Ogiermann: Es ist einfach und schwierig zugleich. Man findet eine Menge im Internet – und dann kommt man nicht weiter. Die traditionellen Verlage, die diese Musik ja auch betreuen müssten, finden Bänder nicht, schicken falsche Formate, haben die Rechte nicht mehr und dergleichen mehr.

Das klingt ja fast so, als nehmen die Verlage diese Musik nicht ernst?

Ogiermann: So ist es.

Zech: Fast alle Jugendlichen benutzen ja das Internet. Vielleicht interessiert es sie, was man professionell damit machen kann.

Wenn man bedenkt, wie groß manche Stücke waren, etwa von Stockhausen oder Luigi Nono, stellt sich die Frage, warum sie sich nicht im normalen Konzertbetrieb durchgesetzt haben.

Ogiermann: Weil die Lautsprecher nicht das bieten können, was KonzertbesucherInnen anscheinend brauchen: die körperliche Arbeit des Interpreten zu sehen.

Zech: Es ist sehr schwer zu vermitteln, dass es sich um ein künstlerisches Konzept handelt, das nur so realisiert werden kann.

Komponisten wie Stockhausen und Nono haben wegen der ungeheuren Präzision den Wert der elektronischen Musik für die Reihentechnik betont. Spielt das heute noch eine Rolle?

Ogiermann: Nein, keine. Sogar Stockhausen besteht ja auf der rein klanglichen und metaphysischen Komponente – etwa, wenn er sagt: „Ich habe den Engelsgesang gehört.“

Sagen Sie noch etwas zu Roland Kayn, der mit Makro I-III 1977 kybernetische Musik geschrieben hat.

Ogiermann: Er benutzt analoge Geräte mit einer unglaublichen Klangtiefe, so etwas habe ich noch nie gehört. Man geht in den Klang wirklich hinein, im Gegensatz zu der Musik von Yannis Xenakis, der die HörerInnen zudröhnt.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Das erste REM-Konzert mit Werke von Evangelisti, Ogiermann und anderenfindet morgen um 20 Uhr im Neuen Museum Weserburg statt