Beamte improvisierten tödlich

Fast fünf Jahre nach dem Erstickungstod des Sudanesen Ageeb sind drei Beamte wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Der gefesselte und geknebelte Mann starb im Flugzeug nach Khartum. Die Beamten hatten sich auf „eigene Erfahrungen“ verlassen

aus Frankfurt HEIDE PLATEN

Drei Bundesgrenzschutzbeamte müssen sich seit gestern wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht in Frankfurt am Main verantworten. Sie sind angeklagt, am 18. Mai 1999 den Tod des Sudanesen Aamir Ageeb verschuldet zu haben. Sie sollten Ageeb in eine Passagiermaschine der Lufthansa verfrachten, auf dem Abschiebeflug über Kairo nach Khartum begleiten und dafür sorgen, dass er während des Fluges nichts tun konnte, um seine Ausreise zu verhindern.

Schon in der Zelle des Bundesgrenzschutzes auf dem Flughafen war Ageeb martialisch gefesselt und mit Kabelbindern und Klettband verschnürt worden. Er lag auf dem Bauch, die Hände auf dem Rücken, die Füße über dem Rücken nach oben gebogen, alle vier Gliedmaßen aneinander gebunden. Für die Fahrt über das Rollfeld wurde er zusätzlich verschnürt und bekam beim Ausladen vor der Gangway noch einen Motorradhelm aufgesetzt. Ageeb erstickte, nachdem ihn die Beamten der Begleitmannschaft auf seinen Platz in der letzten Reihe der Maschine gedrückt, am Sitz festgebunden und seinen Oberkörper nach unten auf die Knie gepresst hatten.

Kollegen der drei Angeklagten sagten gestern aus, Ageep habe als „gefährlich“ gegolten. Er habe um sich geschlagen und sei dabei geblieben, dass er nicht ausfliegen wolle „und auch nicht ankommen“ werde. Er habe gedroht, das Flugzeug zum Absturz zu bringen. Es habe keine Kriterien gegeben, wann eine Abschiebung wegen Eigengefährdung oder der Gefährdung Dritter abzubrechen sei. Das letzte Wort habe der Flugkapitän, der im Fall Ageeb mit dem Transport einverstanden gewesen sei.

Ein Gruppenleiter betonte, er hätte in einer ähnlichen Situation die Abschiebung schon bei lautem Protestschreien abgebrochen und selbst noch beim Start versucht, den Pilotem zur Umkehr zu bewegen. Eine Ausbildung für dieses Spezialgebiet, so alle Beamten übereinstimmend, habe es damals nicht gegeben. Ihnen sei ein BGS-Merkblatt nicht bekannt gewesen, das schon 1998 herausgeben worden war und festlegte, dass Hand- und Fußfesseln in Verkehrsmaschinen nicht zulässig seien.

Der Zeuge Arnold P. berichtete, man habe sich bei den Maßnahmen auf die Erfahrung älterer Kollegen verlassen und ansonsten eigene gemacht. P. hatte die angeklagten Kollegen bis ins Flugzeug begleitet, und er war es auch gewesen, der Ageep für den Weg von der Zelle zum Flugzeug eigenhändig noch einmal verschnürt hatte und ihn dort mit einem Seil um die Füße, Kabelbinder und Klettband an Oberarmen, Händen und Füßen auf dem Sitz fixierte. Den Helm habe er Ageeb aufgesetzt, als dieser versucht habe, sich selbst am Kopf zu verletzen. Seine Methoden, so P., habe er teils von anderen gelernt, teils auch selbst entwickelt oder improvisiert: „Klare Richtlinien waren mir zu dem Zeitpunkt nicht bekannt.“ Dass es „bei einigen“ Usus gewesen sei, einen schreienden, sich wehrenden Abschiebehäftling während des Fluges herunterzudrücken, das habe er nur „gerüchtemäßig“ und „vom Hörensagen“ gewußt. Er habe die Maschine schon vor dem Tod Ageebs verlassen. Nie sei davor gewarnt worden, dass es lebensgefährlich sein könne, den Brustkorb eines Gefangenen einzuengen. Er selbst habe sich darauf verlassen, dass seine Vorgesetzten rechtzeitig eingeschritten wären.

Vor dem Prozess hatten Menschenrechtsorganisationen gegen die lange Ermittlungsdauer protestiert. Diese Verzögerung machte sich gestern auch dadurch bemerkbar, dass viele Fragen nur noch mit: „Ich weiß nicht mehr, es ist zu lange her“, beantwortet werden konnten. Insgesamt sind zehn Verhandlungstage angesetzt, das Verfahren wird morgen fortgesetzt.